Trau – schau wem. Dieser Rat der Volksweisheit weist uns die Richtung, wenn wir über Vertrauen sprechen. Man spricht ja auch davon, dass man jemandem nicht über den Weg trauen kann. Man würde z.B. mit dieser Person nicht gern im nächtlichen Wald spazieren gehen oder mit ihm ein Geschäft abschließen. Vertrauen ist fundamental in unserem Leben. Im Alltag muss ich ständig auf „Treu und Glauben“ handeln. Wenn ich in ein Taxi steige, vertraue ich darauf, dass der Fahrer einen Führerschein hat und mich gut an mein Ziel bringt. Wenn ich bei Grün über die Kreuzung gehe, vertraue ich darauf, dass die Ampel richtig geschaltet ist. Auf Schritt und Tritt bin ich auf Vertrauen angewiesen.
Als Gott uns durch unsere Eltern in die Welt gerufen hat, hat er uns einen Vertrauensvorschuss gegeben, der unser ganzes Leben anhält. Wenn ich jemandem Vertrauen schenke, hebe ich sein Selbstvertrauen. Man kann es bei jungen Paaren sehen, die ihr erstes Kind bekommen. Sie wachsen in ihrer Persönlichkeit. Sie erleben wie dieses kleine Wesen ihnen anvertraut ist, für das sie ab jetzt Verantwortung tragen. Wenn sie vorher eher leichtfüßig durchs Leben gegangen sind, merkt man ihnen jetzt an, dass sie gewachsen und gereift sind. Wenn sie vorher ihren Eltern oft kritisch gegenüber standen, so fragen sie jetzt manchmal, wie denn die Eltern es geschafft haben, sie selber großzuziehen.
Wer Vertrauen schenkt, geht ein Risiko ein, denn sein Vertrauen kann enttäuscht werden. Eine gute Bekannte reiste nach Goa (Indien) in Urlaub. Im Hotel kam ein junger Mann an ihren Tisch und fragte, ob sie bereit wäre, ihm einen Kredit von 700 Dollar zu geben, damit er sich eine Schneiderwerkstatt einrichten könne. Alle rieten ihr ab. Es könne passieren, dass der junge Mann das Geld nähme und sich nie wieder sehen ließe. Sie gab ihm trotzdem den Kredit. Im nächsten Jahr kam der junge Mann wieder und zeigte ihr seine Werkstatt. In den folgenden Jahren heiratete er und bekam Kinder. Jedes Jahr lud er die Dame zu sich nach Hause ein und zeigte sich sehr dankbar. Den Kredit brauchte er nicht zurückzuzahlen. Ihr Vertrauen hatte Großes bewirkt.
Das Gegenteil von Vertrauen ist Misstrauen und Angst. Missbrauchtes Vertrauen macht unsicher und kann jemanden davon abhalten, neue Beziehungen einzugehen. In unseren persönlichen Beziehungen kann jetzt, wo wir mehr aufeinander angewiesen sind, mehr Vertrauen wachsen, indem wir merken, dass wir uns - hoffentlich- aufeinander verlassen können.
Es hängt von der Kenntnis der Person ab, zu wem ich Vertrauen habe und zu wem nicht. Einem Arzt, den ich gut kenne und von dessen Fähigkeiten ich überzeugt bin, werde ich eher vertrauen als einem, der mir nur aus dem Internet bekannt ist.
Ich werde zu jemandem erst in engere Beziehung treten, wenn ich Vertrauen zu ihm gefasst habe. Der Psychiater Erik Erikson hat den Begriff Urvertrauen geprägt. Er meint damit ein Vertrauen in die Welt und das Leben, das meine Existenz prägt und mich befähigt, zu anderen Personen eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, ob der einzelne oder auch die Gesellschaft in einem solchen Vertrauen verankert ist.
Gerade die Deutschen hatten allen Grund, in diesem Urvertrauen erschüttert zu sein. Sie haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zutiefst negative kollektive Erfahrung gemacht. Zwei verlorene Kriege als Folge einer unfähigen und zuletzt sogar verbrecherischen politischen Führung und zwei Diktaturen haben ein kollektives Trauma hinterlassen, das sich tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben hat und das die Welt als „German Angst“ deklariert hat.
In der gegenwärtigen Krise liegt auch eine große Chance. Es kann eine neue positive historische Erfahrung sein, dass wir in gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamer Verantwortung diese Krise erfolgreich bewältigen. Kaum jemand spricht unseren Politikern den guten Willen ab, uns in dieser Krise gut zu führen. Die guten Zustimmungswerte zeigen es. Es kann unser Selbstbewusstsein als Staat und Gesellschaft stärken, dass wir gemeinsam diese Krise anpacken und bewältigen.
Jede schwere Krise stellt uns aber auch eine letzte „Vertrauensfrage“. Sie lautet: Ist Dein letztes Schicksal in einem letzten Vertrauen aufgehoben oder stürzt du nur „in eine Grube“, so jedenfalls hat es der Begründer der analytischen Psychologie C.G. Jung(1875-1961), der Begründer der Existenzpsychologie, ausgedrückt.
Junge Menschen machen sich in der Regel wenig Gedanken über den Tod und das, was danach kommt. Doch früher oder später muss jeder Mensch sich dieser Frage stellen. Nachdem er im Alter von etwa vierzig Jahren vom Tod als „jenem unproblematischen Ende der menschlichen Einzelexistenz“ gesprochen hatte, sagte der Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung im späten Alter: „Ein sozusagen unabweisbar Fragendes tritt an ihn (den alten Menschen) heran, und der sollte darauf antworten. Zu diesem Zweck sollte er einen Mythos vom Tode haben, denn die ‚Vernunft‘ zeigt ihm nichts als eine dunkle Grube, in die er fährt“ (ETG S. 308).
Dies führt Jung zu einer Ahnung von Unsterblichkeit, indem er sagt: „Dieser Anblick des Alters wäre wohl unerträglich, wenn wir nicht wüssten, dass unsere Seele in eine Region reicht, die weder der Veränderung in der Zeit noch der Beschränkung durch den Ort verhaftet ist. In jener Seinsform ist unsere Geburt ein Tod und unser Tod eine Geburt. Im Gleichgewicht hängen die Waagschalen des Ganzen“ (Jung 1950).
Wo die Vernunft keine Antwort mehr weiß, kann nur letztes Vertrauen auf eine letzte Autorität auf letzte Fragen Antwort geben. Die Frage ist, wem wir vertrauen, welchem „Mythos“ wir Glauben schenken, um mit C.G. Jung zu sprechen. Oder wollen wir lieber ohne Antwort bleiben. Viele Menschen neigen heute dazu.
Aber da steht Jesus. Er sagt von sich: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. (Joh 14,6) Ein ungeheurer Anspruch, dem Menschen aller Zeiten gefolgt sind aber auch widersprochen haben. Vor dem Gericht des Pilatus sagte Jesus: Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Die Antwort des Pilatus ist die Antwort der Skeptiker aller Zeiten: Was ist (schon) Wahrheit? (vgl. Joh 18,37-38).
Wie entscheiden wir uns?
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