In der Nachkriegszeit haben wir gelernt mit Beschränkungen umzugehen. Im Vergleich zu dem, was heute Kinder und Jugendliche erleben und erfahren können, war unser
Horizont sehr klein. Die Welt steht uns heute offen, obwohl sich in der Coronazeit schmerzhafte Beschränkungen gezeigt haben. Unsere Kenntnis anderer Länder und Kulturen war damals im Vergleich zu heute bruchstückhaft und damit war auch das Verständnis für andere Mentalitäten und Kulturen eingeschränkt.
Es gab feste Regeln, die wir kannten, und wir wussten, was passiert wenn wir uns nicht daran hielten. Viele von uns wuchsen mit schmerzhaften Verlusten auf. Viele hatten keinen Vater mehr. Es gab Bilder von gefallenen Onkeln und es gab Kriegsverletzte in der Familie, in der Nachbarschaft und auf der Straße. Es gab Trümmer in der ganzen Stadt. All das hat uns eine Ahnung gegeben von der Gefährdung
und Verletztlichkeit des Lebens. Mit dem Wiederaufstieg Deutschlands in der 1950er Jahren nahmen wir am positiven Lebensgefühl des Aufbaus und des Fortschritts teil.
Anders als heute waren Ehe und Familie unhinterfragte Institutionen. Das trug trotz aller Verlusterfahrungen zu einem stabilen Selbstwertgefühl und einem emotionalen Gleichgewicht bei. Es gab auch keine Psychiater oder Therapeuten, mit denen wir unsere Schulängste oder Konflikte mit den Eltern hätten besprechen können. Psychopharmaka waren kaum bekannt.
Psychologen sprechen von Frustrationstoleranz als einer wichtigen Voraussetzung für Resilienz, der Fähigkeit “Krisen unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Rosemarie Welter-Enderlin). Frustrationstoleranz hat jemand, wenn er oder sie Verluste und Entbehrungen ertragen kann, ohne dauerhaften seelischen Schaden zu erleiden. Darin hatten wir mehr Erfahrensmöglichkeiten als heutige Jugendliche.
Vielleicht fehlt den heutigen Jugendlichen vielfach das, was die
Psychologen „Urvertrauen“ nennen: Die tiefe Gewissheit, dass es mit der Welt gut weitergeht. Trotz der schlimmen Ereignisse, in die wir hineingeboren wurden, hatten wir das Gefühl, dass es gut mit uns weitergehen würde. Die Verankerung der Menschen in religiösen Grundüberzeugungen war zu unserer Jugendzeit deutlicher ausgeprägt als heute. Das hat zu einem breiteren Wertekonsens beigetragen und auch zu einem Vertrauen auf eine höhere Macht, die alles hält.
Aus meinem Buch "Jahrgang 1945 - Als das Ende ein Neubeginn war" erschienen im Fe-Verlag Kisslegg
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