Leiden mit dem anderen, für die anderen; leiden um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen; leiden aus Liebe und um ein wahrhaft Liebender zu werden – das sind grundlegende Elemente der Humanität, die abzustreifen den Menschen selbst zerstören würde. Aber noch einmal erhebt sich die Frage: Können wir das? Ist der andere gewichtig genug, dass ich seinetwegen selbst ein Leidender werde? Ist mir die Wahrheit gewichtig genug, dass sie des Leidens lohnt? Und ist die Verheißung der Liebe so groß, dass sie die Gabe meiner selbst rechtfertigt? Dem christlichen Glauben kommt in der Geschichte der Humanität gerade diese Bedeutung zu, dass er im Menschen
auf neue Weise und in neuer Tiefe die Fähigkeit zu diesen für seine Menschlichkeit entscheidenden Weisen des Leidens entbunden hat. Er hat uns gezeigt, dass Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe nicht bloß Ideale, sondern Wirklichkeit dichtester Art sind. Denn er hat uns gezeigt, dass Gott, die Wahrheit und die Liebe in Person, für uns und mit uns leiden wollte. Bernhard von Clairvaux hat das großartige Wort geprägt: Impassibilis est Deus, sed non incompassibilis – Gott kann nicht leiden, aber er kann mitleiden. Der Mensch ist Gott so viel wert, dass er selbst Mensch wurde, um mit dem Menschen mit-leiden zu können, ganz real in Fleisch und Blut, wie es uns in der Passionsgeschichte Jesu gezeigt wird. Von da aus ist in alles menschliche Leiden ein Mitleidender, Mittragender hineingetreten; in jedem Leiden ist von da aus die con-solatio, der Trost der mitleidenden Liebe Gottes anwesend und damit der Stern der Hoffnung aufgegangen. Gewiss, in unseren verschiedenen Leiden und Prüfungen brauchen wir immer auch unsere kleinen oder großen Hoffnungen – auf einen freundlichen Besuch, auf
Heilung innerer und äußerer Wunden, auf einen guten Ausgang aus einer Krise usw. In unbedeutenderen Prüfungen mögen diese Typen von Hoffnung auch genügen. Aber in wirklich schweren Prüfungen, in denen ich mich definitiv entscheiden muss, die Wahrheit dem Wohlbefinden, der Karriere, dem Besitz vorzuziehen, wird die Gewissheit der wahren, großen Hoffnung,
von der wir gesprochen haben, nötig. Deswegen auch brauchen wir die Zeugen, die Märtyrer, die sich ganz gegeben haben, um es uns von ihnen zeigen zu lassen – Tag um Tag. Auch in den kleinen Alternativen des Alltags das Gute der Bequemlichkeit vorzuziehen – wissend, dass wir gerade so das Leben selber leben. Sagen wir es noch einmal: Die Fähigkeit, um des Wahren
willen zu leiden, ist Maß der Humanität. Aber diese Leidensfähigkeit hängt an der Weise und an dem Maß der Hoffnung, die wir in uns tragen und auf die wir bauen. Weil die Heiligen von der großen Hoffnung erfüllt waren, konnten sie den großen Weg des Menschseins gehen, wie ihn uns Christus vorangegangen ist.
Aus der Encyclika Spes salvi von Benedikt XVI. Kap. 39
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