FREUDE IN DER TRAUER

Geschrieben am 24.09.2025
von Joachim Heisel


Meine Mutter hat mir erzählt, dass Susanne, die Mutter ihres Vaters, also meines Großvaters, bei seiner Geburt gestorben ist. Mein Großvater Johann wurde dann von einer Stiefmutter großgezogen, und manches in seinem späteren Leben rührte wohl aus dieser Erfahrung in der frühen Kindheit.

Bis vor ein paar Jahren stand noch das große graue Haus im Trierer Maarviertel, in dem sich das Drama damals abgespielt haben muss. Später  musste es einem Parkplatz weichen. Mein Urgroßvater stammte vom Land und hatte es in der Stadt zu einem gewissen Wohlstand als Bierverleger gebracht, sodass er sich dieses Haus bauen konnte.

Wohl ein Jahr vor der Geburt meines Großvaters  hatte Johann  die zwei Jahre ältere Susanne geheiratet. Es war wohl eher eine Vernunftehe, denn die Braut  war schon 33 Jahre alt und Johann zwei Jahre jünger. Vielleicht hatten sie sich auf einem Dorffest kennen gelernt und nach einiger Zeit beschlossen zu heiraten.

Wenn ich an der Stelle vorbeigehe, an der das Haus stand, versuche ich, mir die dramatische Szene von damals vorzustellen. Als junger Student habe ich einer Entbindungsstation gearbeitet und die glücklichen Gesichter der jungen Mütter gesehen, wenn sie nach einer manchmal schweren  Geburt mit einem seligen Lächeln auf das kleine Bündel schauten, das man ihnen  an die Brust  legte. Man konnte dabei an das Wort aus dem Johannesevangelium (16,21) denken, das Jesus gesprochen hat: „Wenn eine Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist, aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über die Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist."

Noch im 19. Jahrhundert starben  viele Mütter bei der  Geburt ihres Kindes oder danach. Es war im Winter am 31.1. 1887 vielleicht gegen Morgen: Johann Antes läuft in seinem Wohnzimmer auf und ab. Aus dem Nachbarzimmer hört man leises Stöhnen und plötzlich ein herzzerreißender Schrei und darauf Stille. Nach einer Weile wieder ein Schreien, diesmal wie von einem neugeborenen Kind. Nach endlosen Minuten geht die Tür zum Nachbarzimmer auf. Die Hebamme stürzt ins Wohnzimmer und sagt mit leiser Stimme: „Herr Antes, sie haben einen Sohn, - und nach einem Stocken in der Stimme  - leise: „Aber ihre Frau ist gerade bei der Geburt verstorben."  Johann steht  da wie versteinert. Es gibt wenige Situationen, in der zwei extreme Ereignisse voller Freude und gleichzeitig voller Trauer zusammenkommen.  Die Hebamme nimmt ihn an der Hand und führt ihn zu einem   Sessel. Er setzt sich mechanisch hin und ist wie  innerlich wie leer.

Man kann sich den Schmerz des jungen Witwers, der mein Urgroßvater war, kaum vorstellen. Erst jetzt, wo ich älter geworden bin, habe ich begonnen, das Schicksal unserer Urgroßeltern zu bedenken. Dieser Johann Antes war mein Urgroßvater, und Barbara  meine Urgroßmutter. Eigentlich verdanke ich ihnen ja  meine Existenz, aber auch alle anderen, die danach kamen. Wir sollten ihrer dankbar gedenken. Sie hat ihr Leben geopfert für ihren Sohn, meinen Großvater. Wenn ich jetzt an sie denke, fühle ich eine innerliche Verbundenheit und auch Mitleid mit dieser jungen Frau, die ihr Leben gab, damit wir leben konnten aber auch für den jungen Witwer, meinen Urgroßvater.

Warum sollten wir uns  nicht denen verbunden fühlen, die vor uns waren?  Ich finde, es ist eine gute Vorstellung, dass wir dankbar sind für die, die vor uns gelebt haben. Es ist  eine gute christliche Gewohnheit für die Lebenden aber auch für die Verstorbenen zu beten und so mit ihnen Verbundenheit zu zeigen. 

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