Auf dem Boden vieler psychischer Störungen findet sich oft eine tiefgreifende Selbstwertproblematik. Bei einer Patientin konnte ich das jedes Mal spüren, wenn ich bei ihr war. Sie hatte in ihrer Kindheit wenig Liebe und Anerkennung von ihren Eltern erfahren und war bei den Großeltern groß geworden. Später, als ich sie öfter besuchte und sie mittlerweile ein Pflegefall geworden war, fragte sie mich jedes Mal: „Magst Du mich?“, und das wiederholte sie dauernd. Sie brauchte die Vergewisserung, dass sie wert genug war, dass man sie gern hatte. Es ist eine tiefe Verunsicherung, wenn Menschen sich nicht geliebt fühlen. Manche Aggressionen, manche schlimmen Bemerkungen, die im Alltag fallen, sind versteckte Wünsche nach Zuneigung. Ja manchmal probieren wir aus, ob uns die anderen auch dann noch mögen, wenn wir ihnen die kalte Schulter zeigen. Gerade Eltern mit pubertierenden Töchtern oder Söhnen können oft ein Lied davon singen.
Letztlich kann uns nur Gott diese bedingungslose Liebe schenken, die wir uns wünschen. Solange wir nicht darauf vertrauen können, fühlen wir uns nicht wirklich geliebt und irgendwie wertlos. Das Vaterunser ist die Einübung in diese Liebe. Wir können es zu allen Zeiten beten. Wir werden es auf andere Weise beten, wenn wir jung sind als in der Mitte unseres Lebens oder an seinem Ende, anders, wenn wir froh sind oder wenn wir traurig sind, voller Schuld und Zweifel oder voller Freude.
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