DAS LIED VON DER KLEINEN BLUME - STARK WIE DER TOD IST DIE LIEBE (Hohes Lied 8,6)

Geschrieben am 22.07.2020
von Joachim Heisel


Am Rande einer großen Asphaltstraße lebte eine kleine Blume. Um sie herum waren viele hohe Häuser aus Beton, in denen die Menschen wohnen. Auf der großen Strasse fuhren den ganzen Tag über die schnellen Autos der Menschen. An besonders heißen Tagen war die kleine Blume von der Blüte bis zu dem Stiel und den Blättern über und über mit dem Staub bedeckt, den die Autos aufwirbelten. Morgens kamen die Menschen aus den Häusern heraus und am Abend gingen sie wieder hinein. Die Menschen eilten so schnell an ihr vorüber, dass keiner die kleine Blume bemerkte, denn niemand hatte Zeit, die kleine Blume zu betrachten. Manchmal war die kleine Blume traurig darüber und dachte bei sich: Warum soll ich überhaupt noch weiter blühen, wenn ja doch niemand mich anschaut und sich an mir freut. So verging ein Tag nach dem andern. Die Menschen liefen weiter an ihr vorüber. Ihre großen Autos fuhren tagaus und tagein auf der großen Straße und machten der kleinen Blume mit ihrem Lärm große Angst. Ab und zu kam eine Frau mit einem Hund vorbei, der an der kleinen Blume schnupperte. Vor Schreck zog die kleine Blume dann jedes Mal ihre Blütenblätter zusammen und wartete bis der Hund wieder wegging. Wenn die großen Lastwagen vorbei fuhren, zitterte die kleine Blume am ganzen Leib. Weit und breit war sie die einzige Blume. Manchmal sehnte sie sich nach einem Gefährten oder einer Gefährtin. Da kam an einem Tag, der Sommer war schon beinahe vorüber und die kleine Blume streckte ihr immer noch schönes Köpfchen in die milden Strahlen der Sonne, ein kleines Mädchen mit seiner Mutter vorüber. „Schau, Mama, was für eine schöne Blume,“ und pflückte sie an ihren Stiel ab. Es tat der Blume sehr weh, und sie dachte, sie müsste sterben. Das kleine Mädchen nahm die kleine Blume mit nach Hause und stellte sie im Wohnzimmer in eine gläserne Vase. Als die kleine Blume das frische Wasser in der Vase spürte, blühte sie noch einmal auf. Das kleine Mädchen kam jeden Tag nach ihr schauen und sprach mit ihr. Sie hatte lange blonde Haare und schöne große blaue Augen. Das Mädchen lächelte die kleine Blume an und obwohl sie wusste, dass sie bald sterben würde, war die kleine Blume dann sehr glücklich.

 Aus: Quellen gelingenden Lebens von Joachim Heisel