IM ANFANG WAR DAS SPIEL

Geschrieben am 01.08.2020
von Joachim Heisel

In Zeiten der Muße wie in Urlaub und Ferien sollten wir das Spiel nicht vergessen. Nach dem Schauen ist es auch das Spiel, was uns in Erholung und Freizeit viel Freude macht. Im Alten Testament, im Buch der Sprüche (8,22-31) heißt es in einem sehr poetischen Text, den wir auf den Menschen als spielendes Kind vor seinem Schöpfer (lateinisch homo ludens) beziehen können:

Der Herr hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, / vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, / am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, / als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, / vor den Hügeln wurde ich geboren. Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren / und alle Schollen des Festlands. Als er den Himmel baute, war ich dabei, / als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, als er droben die Wolken befestigte / und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer, als er dem Meer sein Gesetz gab / und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften, / als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm. / Ich war seine Freude Tag für Tag / und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund / und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein

Im Anfang war das Spiel und im Spiel kehren wir in gewisser Weise zu unserem Anfang, unserer Kindheit, zurück. - Auch im Alter tritt bei schon dementen Menschen der ursprüngliche Trieb zum Spiel wieder zutage. Oft gelingt es,  den fast erstorbenen Geist alter Menschen mit aus der Jugend vertrauten Spielen und Liedern wieder zu beleben. Plötzlich können sie die vertrauten Melodien wieder singen. Diese Erfahrung machte auch ein Freund, der zu seiner Gitarre in einem Kölner Altenheim sang. Am Schluss sangen die alten Damen und Herren „kölsche“ Karnevalslieder aus ihrer Jugendzeit.

Gleichzeitig  kommt in dem Text aus dem Alten Testament zum Ausdruck, dass jeder Mensch von allem Anfang ein Gedanke Gottes ist. Wir sind jeder einzelne nur ein kleines Rädchen im Weltgetriebe,  jedoch sind wir wichtig für die Menschen in unserer Umgebung: Familie, Freunde, Kollegen, Nachbarn; wichtig auch für Gott, der jeden von uns liebt wie wenn wir sein einziges Kind wären.

Das Spiel bringt tief verwurzelte Verhaltensweisen wieder hervor, denn im Spiel sind wir weniger kontrolliert und reagieren spontaner als im angespannten Alltag. Jedes Mal, wenn ich mit meiner älteren Cousine zusammen bin, erzählt sie mir aus unserer gemeinsamen Kindheit, wie sie mich beim Mensch-Ärger-Nicht–Spiel mit Lust weggekickt hat und mein Vater und sie mich auslachten, wenn ich mich bis zu Tränen der Wut ärgerte. Als wir jetzt in nostalgischer Erinnerung nochmals spielten, merkte ich, wie mein Kindheitstrauma wieder hoch kam, als ich zwei Mal hintereinander gegen sie verlor. Wir haben dann viel gelacht. Spielen ist zweckfreies Tun, das uns für Momente von den Zwängen des Alltags befreit.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, sagt der Dichter Hermann Hesse (1877-1962). Nicht immer war die Kindheit zauberhaft, aber es gibt Menschen, Bilder, Worte, Erlebnisse und Gerüche, die in uns bestimmte gute Gefühle aufsteigen lassen und  uns durch unser Leben begleiten. Bei mir ist es der Samstagabend im Haus meiner Eltern. Wenn wir alle gebadet hatten, spielten wir Halma oder Mühle während die Glocken unserer Pfarrkirche und des Doms bereits den Sonntag einläuteten. Wir werden viel mehr von diesen oft im Unterbewusstsein schlummernden positiven aber manchmal auch negativen Bildern in unserem Fühlen und Handeln bestimmt als uns bewusst ist. Bemühen wir uns in dieser Zeit, die guten Bilder wieder hervorzuholen.

Gerade in der Freude am Spiel und an kleinen Dingen können wir in Corona-Zeiten, jetzt auf dem Boden von notwendiger Selbstbeschränkung eine neue Bescheidenheit als Tugend entdecken, die wir im Überfluss vielleicht verlernt haben. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Dinge und Möglichkeiten, die wir sonst als selbstverständlich erachteten, einfach nicht da sind oder nicht möglich sind. Wir müssen Grenzen anerkennen.

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