ZWEI PROZENT

Geschrieben am 22.08.2020
von Joachim Heisel


In der gegenwärtigen Diskussion inner- und außerhalb der katholischen Kirche über den sogenannten synodalen Weg, den die deutsche Kirche beschritten hat, wird manchmal die Frage vergessen, inwieweit andere Teile der Kirche oder auch die gesamte Weltkirche diesen Weg mitgehen wollen. Die deutschen Katholiken machen nicht einmal zwei Prozent der Weltkatholiken aus - mit schrumpfendem Anteil. Der Anteil der Europäer ist auf etwas über 20 Prozent abgesunken. Global gesehen nimmt die Zahl der Katholiken jedes Jahr um ca. 14 Millionen Menschen vor allem in Afrika und Asien zu. Weltweit gibt es 1,3 Mia. Katholiken. Es gibt also durchaus in Teilen der Kirche Aufbruch- statt Abbruch-Stimmung. Alles dies sollte man im Auge haben, wenn sich in Deutschland kirchliche Untergangsstimmung breitmacht. Ein Teil der Probleme, die sich manche Kirchenkreise in Deutschland stellen wie Frauenpriestertum oder Aufgabe des Zölibat oder bestimmte Fragen der Sexualmoral sind in weiten Teilen der Weltkirche kein vorrangiges Thema.

Eins ist sicher: Die Kirche wurde nicht auf dem Fundament von Theologen gegründet, so wichtig die Theologie als Wissenschaft sein mag. Christus hat sie auf dem Fundament der Apostel gebaut. Die Kirche hat diese Tradition über die Jahrhunderte fortgeführt und in ihrem Lehramt immer wieder bestätigt. Hier waren neben dem Papst auch die Konzilien als Gemeinschaft von Papst und Bischöfen trotz aller menschlichen Unzulänglichkeiten wie Leuchttürme in den Stürmen der Geschichte, an denen sich die Kirche orientiert hat. Es waren nicht einzelne Teile der Kirche, die den Kurs bestimmten und wenn einmal doch, so führten sie zur Abspaltung von der Gesamtkirche.

Die alten Theologen unterschieden zwischen einer knienden und einer sitzenden Theologie, weil sie wussten, dass Beten und Reflexion zusammengehören, wenn es um den rechten Glauben geht. Sie wussten,  dass eine Theologie ohne Frömmigkeit und damit ohne den Heiligen Geist gefährlich wird. Christus selbst hat gesagt: Der Beistand aber der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe (Joh 14,36). Und Paulus schreibt an die Korinther (2 Kor 3,3): Ihr seid offenbar Christi von uns besorgter Brief, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes geschrieben.

Es wäre ein Abweg, wenn sich der Weg der deutschen Kirche nach der Inspiration des Zeitgeistes und in seinem Gefolge einiger deutscher Theologen und Laiengremien richten würde  und sich damit von  der Gesamtkirche entfernt. Ein warnendes Schreiben von Papst Franziskus an die deutschen Katholiken vom 29.6.19 hat auf diese Gefahr hingewiesen. Dort heißt es u.a.:

Die Weltkirche lebt in und aus den Teilkirchen, so wie die Teilkirchen in und aus der Weltkirche leben und erblühen; falls sie von der Weltkirche getrennt wären, würden sie sich schwächen, verderben und sterben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Gemeinschaft mit dem ganzen Leib der Kirche immer lebendig und wirksam zu erhalten. (...)

Mit dem Hintergrund und der Zentralität der Evangelisierung und dem Sensus Ecclesiae (Anm. Gespür für die Einheit der Kirche) als bestimmende Elemente unserer kirchlichen DNA beansprucht die Synodalität bewusst eine Art und Weise des Kirche-Seins anzunehmen, bei dem das Ganze mehr ist als der Teil, und es ist auch mehr als ihre einfache Summe. Man darf sich also nicht zu sehr in Fragen verbeißen, die begrenzte Sondersituationen betreffen, sondern muss immer den Blick weiten, um ein größeres Gut zu erkennen, das uns allen Nutzen bringt. (...)"

Sooft eine kirchliche Gemeinschaft versucht hat, alleine aus ihren Problemen herauszukommen, und lediglich auf die eigenen Kräfte, die eigenen Methoden und die eigene Intelligenz vertraute, endete das darin, die Übel, die man überwinden wollte, noch zu vermehren und aufrechtzuerhalten. (...)

 (...) dass nämlich eine der ersten und größten Versuchungen im kirchlichen Bereich darin bestehe zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, dass diese aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen. (...)

Deshalb muss unser Hauptaugenmerk sein, wie wir diese Freude mitteilen: indem wir uns öffnen und hinausgehen, um unseren Brüdern und Schwestern zu begegnen, besonders jenen, die an den Schwellen unserer Kirchentüren, auf den Straßen, in den Gefängnissen, in den Krankenhäusern, auf den Plätzen und in den Städten zu finden sind. (...)

Auch wenn viele Anliegen des synodalem Wegs gerechtfertigt sind, kann eine  Fixierung auf Themen wie kirchliche Neu-Strukturierung mit weitgehender Beteiligung von Laien und Frauen an der Leitungsstruktur der Kirche, Diskussionen über  Zölibat und Frauenpriestertum den Blick auf wichtige  zentrale spirituelle Anliegen behindern. Wichtige Themen wären Glaubensverkündigung, Glaubensinformation und  -erneuerung sowie  spirituelle Vertiefung bei der individuellen Sinnsuche. Ein synodaler Weg, der an diesen Themen vorbeiginge und nur neue Strukturen schaffen wollte, wäre ein Irrweg.

In Deutschland leben etwa 30 Millionen Nichtchristen, die die „frohe Botschaft“ allenfalls nur aus der Ferne vernommen haben. Wer macht sich  Gedanken um diese große Zahl von Menschen in unserem Land, die Christus und die Kirche nicht wirklich kennen?

Vor einiger Zeit machte ich eine ambulante Reha nach einer Bandscheibenoperation. Mich behandelte ein junger 25 jähriger Physiotherapeut. Er erzählte mir von seiner amerikanischen Freundin, die er manchmal in den Staaten besuchte. Jeden Sonntag ging er mit der ganzen Familie der Freundin zum Gottesdienst. Er erfuhr zum ersten Mal, was christliches Leben bedeutet. In seinem jahrelangen evangelischen Religionsunterricht wurde nach seinen eigenen Aussagen nur über Umwelt, Islam, Buddhismus, Rassismus, Asylanten und ähnliche Themen gesprochen. Ich fragte ihn dann, ob er das Vaterunser beten könne. Dieses Kerngebet der Christenheit hatte er in seinem Religionsunterricht nicht gelernt. Wir haben es dann auf seinen Wunsch zusammen gebetet.

Wie ich kürzlich in einem Bericht in der FAZ gelesen habe, gibt es 2000 private Koranschulen in Deutschland, die von 50 Prozent der muslimischen Kindern und Jugendlichen besucht werden.

Wo bleibt die Unterrichtung unserer (noch) großteils christlichen Jugend in den Inhalten des christlichen Glaubens?

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