HEILIGABEND

Geschrieben am 23.12.2020
von Joachim Heisel


Draußen wurde es dunkel, in dem großen Krankenhaus gingen die Lichter an und brachten den Schnee vor dem großen Eingang zum Glitzern. Auf den Gängen hatten die Schwestern einen großen Christbaum mit elektrischen Kerzen und viel Lametta  aufgestellt, denn es war  Heiligabend. Ein kleines blondes Christkind lag verloren in seiner Krippe unter dem Christbaum.  Ärzte und Schwestern standen in festlicher Kleidung auf dem Flur und der Oberpfleger spielte auf seiner Gitarre Weihnachtslieder: Stille Nacht, heilige Nacht und Es ist ein Ros entsprungen... Der Christbaum strahlte über den Betten der Patienten, die man aus den Zimmern auf den Flur geschoben hatte. Nur auf Zimmer 401 lag eine alte Frau allein in ihrem Bett. Sie röchelte und rang nach Luft.

Der Herr Pater hielt gerade seine Ansprache und fand tröstende Worte für die Kranken mit dem Gedanken, dass Gott Mensch geworden sei und sich in unser Elend der Krankheit und des Todes hinab begeben habe, als mitten in seine Rede lautes Rufen über den Flur hallte: „Resi, komm her zu mir, wo bist du. Resi, Resi laoss mi net alloans sterben“. Der Pater unterbrach für einen Augenblick seine Ansprache. Die Oberschwester flüsterte der jungen Schwester neben ihr ins Ohr: „Sie ruft nach ihrer Tochter, die ist in Amerika. Sie wollte heute Abend kommen. Aber ob die Alte es wohl noch erleben wird?“

Die diensthabende junge Krankenschwester zögerte einen Augenblick. Dann löste sie sich sachte aus der Gruppe. Der Herr Pater sprach weiter. Sie öffnete leise die Zimmertür und trat ans Bett der alten Patientin. Sie lag halb aufgerichtet im Bett, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Die Brust hob und senkte sich mit keuchendem Atem. Auf der Stirn klebte eine Haarsträhne. Die Augenlider hingen herab. Sie fasste die Patientin bei der Hand und streichelte sie. "Bist du es Resi? Bist endlich kima?" Die junge Krankenschwester fuhr der Alten mit ihrer jungen weichen Hand über die Stirn. Ein seliges Lächeln ging über das Gesicht der alten Frau.  „I wußt scho, des´t noch kommen tätst“ murmelte sie. Sie legte sich in ihr Kissen zurück, ihr Atem wurde ruhiger.

Die Weihnachtsfeier war schon zu Ende. Der Herr Pater kam und  gab ihr die Krankensalbung.  Die Schwester blieb bei der Patientin und hielt ihre Hand. Um MItternacht setzte der Puls der alten Frau aus und sie starb. Die junge Krankenschwester drückte ihr die Augen zu und ging still nach Hause.

Als am nächsten Tag die Tochter aus Amerika kam, führte die Oberschwester sie in die Leichenhalle zum Sarg der Mutter. Als sie die tote Mutter sah, weinte sie.„Sie brauchen nicht zu weinen“ sagte die Oberschwester, die Mutter ist ganz ruhig eingeschlafen, genauso wie wenn sie bei ihr gewesen wären“. Sie erzählte ihr von der jungen Krankenschwester, die bei ihrer Mutter geblieben war, bis sie starb. Als die Tochter durch ihre Tränen hindurch das Gesicht der Mutter ansah, wusste sie, dass die Schwester die Wahrheit sagte. 

ALLEN FREUNDINNEN UND FREUNDEN MEINES BLOGS EIN FROHES UND GESEGNETES WEIHNACHTSFEST UND EIN GUTES NEUES JAHR

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