VOM EISE BEFREIT

Geschrieben am 20.03.2021
von Joachim Heisel


Weil Tag und Nacht heute gleich lang sind, ist heute Frühlingsanfang, wirklich!

Aber dieser Frühlingsanfang kann mit dem kleinen Vorfrühling vom 20. Februar nicht mithalten!

Wir haben im Lockdown einiges gelernt: Wir haben die Natur neu entdeckt! Umweltpsychologen haben herausgefunden, dass schon eine halbe Stunde, die wir in der Natur verbringen, uns froher, friedfertiger und optimistischer macht. Vor allem das Grün, das wir jetzt (hoffentlich bald) zu erwarten haben, wenn Sträucher, Bäume und Blumen  wieder sprießen, hat auf unser Wohlbefinden einen messbar günstigen Einfluss. Der Cortisolspiegel im Blut, der ein Indikator für Stress ist, geht deutlich herunter, wenn wir in der Natur sind und ganz besonders, wenn wir uns dort bewegen. Dafür steigen Endorphine, Ocytocin und Serotonin, die sogenannten Glückshormone, an.

Unser Körper erinnert sich dann daran, wo wir herkommen. Unsere Vorfahren  haben in engem Kontakt mit der Natur gelebt. Erst haben sie als Sammler und Jäger Wälder und Steppen durchstreift. Bis weit ins 19. Jahrhundert lebten die meisten Menschen naturnah mit viel Bewegung im Freien. Die zunehmende Technisierung im 20. Jahrhundert hat uns in hohem Masse von der Natur entfremdet. Aber vor allem nach den in unseren Breiten langen Wintermonaten sehnen sich Körper und Seele nach Bewegung in der freien Natur.

Moderne Architekten versuchen, die Steinwüsten der Großstädte mit Dachgärten menschlicher zu machen. Neben anderen Dachgärten gibt es mitten in den Londoner Dockends auf dem Dach eines Hauses einen großen botanischen Garten, wo die Menschen sich in der Mittagspause in der Umgebung von Blumen, Sträuchern und sogar Bäumen erholen können.

Schon vor 150 Jahren hatte der Märchenkönig Ludwig II. von Bayern eine ähnliche Idee. Er ließ auf dem Dach des Festsaals der Münchener Residenz mit damaliger modernster Technik einen Garten unter einem siebzig Meter langen Glasgewölbe anlegen. Publikumsverkehr war allerdings dabei nicht vorgesehen. Nach seinem Tod musste das aufwändige Unternehmen wegen baulicher Mängel aufgegeben werden.

Was den Frühling angeht, hat uns Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) in seiner großen Dichtung „Der Faust“ mit seinem Gedicht „Osterspaziergang“ ein  zeitloses Bild des Frühlings gezeichnet:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter in seiner Schwäche
zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weisses.
Überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farbe beleben.
Doch an Blumen fehlts im Revier.
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
denn sie sind selber auferstanden.
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Strassen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.

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