MITEINANDER AUSKOMMEN

Geschrieben am 31.01.2020
von Joachim Heisel

MITEINANDER AUSKOMMEN

Wir hatten einen Klassenlehrer, noch dazu in Mathematik, das nicht mein Lieblingsfach war, der jeden Morgen mit dem gleichen grauen Anzug in die Schule kam und mit der gleichen roten Krawatte. Wir standen alle auf, wenn er den Klassenraum betrat, aber es kam kein „Guten Morgen“ oder „Grüß Gott“ sondern nur ein: „Setzen Sie sich“. Wir hatten das Gefühl: Er mochte uns nicht und wir mochten ihn wohl auch nicht. Er kam, weil er musste. Heute sehe ich das anders: Unsere Lehrer hatten als junge Menschen  einen furchtbaren Krieg und eine schlimme Diktatur hinter sich gebracht. Wir hätten ihnen deshalb manches nachsehen müssen. Bei einem Abiturtreffen vor einigen Jahren hat das ein ehemaliger Mitschüler das  in einer Rede ausgedrückt.

Bei einem Schulausflug während der Zeit, als wir gerade einen Tanzkurs machten, ist dieser Lehrer einmal aufgetaut und hat uns erzählt, wie er und seine Mitschüler vor dem Krieg  zusammen mit ihren Freundinnen im Fiaker (Pferdekutsche) zum Abschlussball ihres Tanzkurses durch Prag gefahren waren. Das waren seine schönsten Jugenderinnerungen. Als er das erzählte, lächelte er sogar. Nach seinem Abitur kamen dann für ihn Kriegseinsatz und Vertreibung. Nachdem er uns das von sich erzählt hatte, war er für uns nicht mehr allein der „Mufti“ wie wir ihn unter uns benannt hatten, sondern auch ein Mensch, der Gefühle zeigen konnte.

Wenn die Sekretärin ihrem  Chef erzählt hat, dass ihr Hund  krank ist und dieser am nächsten Tag nicht danach fragt, wie es dem Hund geht und somit in angemessener Weise empathisch ist, braucht er sich nicht zu wundern, wenn die Sekretärin an diesem Tag eher lustlos arbeitet. Im beruflichen Alltag und beim sozialen Miteinander geht es weniger um Mitgefühl als um Leistung. Aber manchmal ist es auch wichtig, dass wir die Geschichte des anderen oder der anderen kennen und was sie bewegt. Das macht ihn oder sie als Mensch näherbar und bringt Wärme in eine sonst eher sachbezogene Beziehung. Das ist besonders wichtig, wenn man jahrelang miteinander arbeiten soll. Allerdings darf jemand das nicht als Vehikel missbrauchen, um ungerechte Vorteile zu haben..

In einem Betrieb müssen die verschiedensten Menschen miteinander auskommen, die von Herkunft, Alter, Anlagen und Lebenseinstellung sehr verschieden sind. Sie alle bilden zunächst eine Zweckgemeinschaft, deren Ziel es ist, Leistung zu erbringen. Aber jeder von ihnen bringt auch seine Geschichte mit. Ein Betrieb oder eine Firma wird am besten funktionieren, wenn jeder auch in der Arbeit weiter Mensch sein kann. Eine Patientin kam zur Psychotherapie, weil eine Kollegin sie völlig ignorierte. Wenn sie das Büro betrat, wurde sie nicht gegrüßt, bei Besprechungen ausgegrenzt  und auch sonst von ihr nicht beachtet. So konnte sie nicht mehr arbeiten.

Was gehört zu einer guten Beziehung?

Zunächst soll ich den anderen bewusst wahrnehmen. Dann soll ich auf seine Anwesenheit mit positiver Resonanz reagieren. Das heißt nicht, dass ich keine Kritik äußeren darf, wenn sie angebracht ist. Grundlage von Empathie ist die Selbstwahrnehmung. Je offener eine Person in der Wahrnehmung eigener Gefühle ist, desto mehr Empathie kann er für andere aufbringen, desto besser kann er auch auf die Gefühle anderer Personen reagieren und ihre Motive und Absichten verstehen. Man kann das teilweise auch lernen.

Empathie ist  eine  Voraussetzung für das Gelingen wichtiger Lebensbereiche: Ehe, Familie, Arbeit, soziales Leben, aber auch bei den Übergängen in die verschiedenen Lebensphasen macht Empathie anpassungsfähiger, weil sie hilft, soziale Netze aufzubauen und zu erhalten.

Empathie ist der Katalysator aus dem gelungene Beziehungen entstehen. Gelingendes Leben sind vor allem gelingende Beziehungen.  Menschen mit Empathie können Zwischentöne besser wahrnehmen. Nach psychologischen Untersuchungen gehören fünfzehn Prozent der Menschen zur Gruppe der Hypersensiblen (Hochempfindsamen) .Sie sind oft empathiefähiger als andere, weil sie introspektionsfähiger sind (besser in ihr Inneres schauen können). Wenn sie in Unternehmen und Leitungsstrukturen unterrepräsentiert sind, gereicht das oft zum Nachteil des Betriebsklimas dieser Unternehmen. Menschen ohne Empathie sind oft durchsetzungsfähiger und passen sich  dem Mainstream an, um oben zu bleiben und Erfolg zu haben. Sie können auch mal „über Leichen gehen“. Gerade in der Wirtschaft, wo z.B. Betriebe „saniert“ werden müssen, können sich solche Temperamente ansammeln. Das heißt aber nicht, dass alle, die diesen Job machen müssen, sich so verhalten.

Generell haben Frauen mehr Fähigkeit zu Empathie. Sie sind teamfähiger als Männer, unter anderem weil sie eher Kompromisse eingehen können. Sie verkörpern weiche Werte wie Einfühlsamkeit, Anpassungsfähigkeit, Intuition. Wie psychologische Untersuchungen gezeigt haben, sind gemischte Teams von Männer und Frauen effektiver als bloße Männer- und Frauenteams.

Als Christen und auch als Nichtchristen können wir uns in diesem Zusammenhang durchaus auch an die geistigen  Werke der Barmherzigkeit  erinnern, die auch in unsere beruflichen Beziehungen hineingehören. Zu diesen geistigen Werken der Barmherzigkeit zählen: Unwissende lehren, Zweifelnden raten, Lästige geduldig ertragen, Beleidigungen verzeihen. Wir sollten diese Gesinnungen nicht mit dem Betreten des Arbeitsplatzes ablegen.

 Übrigens: Wann haben wir zuletzt einem „Lästigen“ zugehört oder jemanden um Verzeihung gebeten, wenn wir ihn unrecht behandelt haben…?

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