RUHET EIN WENIG AUS (Mt 6,30)

Geschrieben am 18.07.2020
von Joachim Heisel

Alle Menschen brauchen Urlaub. Zu dieser Einsicht kamen auch Jesus und seine Jünger.

Von Erholung und Aus-Zeit ist deshalb auch im Evangelium die Rede. So heißt es im Matthäusevangelium (Mt 6,30-32): Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.

Jesus hatte erkannt, dass seine Jünger dringend Erholung brauchten und will ihnen trotz der Dringlichkeit seiner Mission  eine Aus-Zeit verordnen.

Es gibt ja den bekannten Spruch: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Oder: Wer rastet, der rostet. Es stimmt zwar: Wer Langeweile hat, fällt leicht ins Laster. So war es bei einem Patienten, der keine Arbeit hatte und deshalb in den Alkohol abrutschte mit entsprechend hohen Leberwerten, die sich erst wieder halbierten als er eine Arbeit gefunden hatte. Es gibt aber auch den Menschentypus, der nicht mehr zur Ruhe kommt und sich ständig noch Arbeit mit nach Hause nimmt und Tag und Nacht erreichbar sein will, auch im Urlaub. Dann heißt es: Er oder sie kann nicht abschalten. Ein solcher junger Patient, Diplomingenieur mit hoher Verantwortung, kam zu mir in die Praxis. Er nahm morgens seine Sporttasche mit in die Arbeit und nahm sie abends wieder mit nach Hause, ohne ins Fitnessstudio gegangen zu sein. Ständig wartete er auf E-Mails oder Anrufe von der Firma. Das ging auf die Dauer nicht gut. Er konnte nicht mehr schlafen und kam auch am Wochenende nicht zur Ruhe. Erst ein striktes Email-Verbot am Wochenende und die Einübung in den Grundsatz: „Jeder ist ersetzbar“ brachte ihn wieder ins Gleis. Er konnte in der Arbeit endlich Dinge ohne schlechtes Gewissen delegieren und sich mehr seiner Frau und den beiden Kindern widmen, die ihm dafür sehr dankbar waren.

Wir brauchen Freizeit und Erholung, und wir sollten sie uns von niemandem und keiner Sache nehmen lassen.

 Für viele von uns kommt jetzt eine Zeit der Erholung und der Muße: Urlaub oder Ferien. 35 Prozent der Deutschen können sich laut Umfrage nicht so recht auf den Urlaub freuen, 22 Prozent wissen noch nicht, ob sie sich freuen sollen. Urlaub in Corona-Zeiten bedeutet Einschränkung. Nicht alle Länder, wo wir bisher den Urlaub verbracht haben, können angesteuert werden. Und da wo wir hinfahren können, besteht auch Maskenzwang und das Damoklesschwert einer Erkrankung in der Fremde oder einer Quarantänepflicht bei der Rückkehr aus dem Ausland schwebt über uns. Vielleicht geht es deshalb dieses Mal nicht weit weg und wir bleiben im Lande oder der Urlaub findet in der gewohnten Umgebung statt.

 So kann ein Teil vom Stress entfallen. Wir brauchen nicht mehrere Tage für Hin- und Rückreise, Packen, Arztbesuche für Impfungen, Pässe, fremdes Kleingeld etc. und müssen uns nicht überall neu zurechtfinden. So können wir die Einschränkungen  auch als  Chance begreifen, Beschränkung als positive Möglichkeit. Urlaub und Ferien nicht als Konsumware sondern als Möglichkeit zu mehr Muße. Wenn wir nicht weit verreisen (können oder müssen) oder gar vor Ort bleiben, kann alles ruhiger sein. Vielleicht auch mehr Zeit für Gespräche, die in der Hektik des Alltags zu kurz kommen, gemeinsam zum nahegelegenen Badesee mit dem Fahrrad fahren, schwimmen oder einfach im Gras liegen. Oder uns still in eine Kirche zu setzen, wo der Lärm außen vor bleibt und wir innerlich zur Ruhe kommen und dabei unser Leben bedenken.

So können Urlaub und Ferien Gelegenheit zur Einübung von Momenten der Achtsamkeit sein. Achtsam leben gegenüber Dingen, Tieren und Personen, den Augenblick in seiner Einzigkeit erleben und als Geschenk Gottes an uns wahrnehmen. Wir  können nach den Spuren der Liebe suchen, die Gott in alles hineingelegt hat, ohne immer gleich zu prüfen, wie wir alles für uns gebrauchen können.

Jeder Stein, jede Blume und jeder Baum, Mensch und Tier sprechen uns letztlich von Gott, wenn wir nur die Stille des Augenblicks zulassen. Die heilige Therese von Lisieux sagte einmal: Das Schweigen ist die Sprache der glücklichen  Himmelsbewohner. Thomas von Aquin (1224-1275) der große  Theologe des Mittelalters, spricht in Anlehnung an Aristoteles (385-323 v.Chr.) davon, dass das eigentliche Glück des Menschen im Schauen und nicht im Haben besteht. Dieser Gedanke ist uns weitgehend fremd, obwohl wir oft unsere schönsten Urlaubserlebnisse mit den Augen wahrnehmen: Ein schöner Sonnenuntergang, der Blick auf die Weite des Meeres oder von einem Gipfel, den wir gerade erklommen haben. So macht auch der heilige Thomas ein ewiges Glück des Menschen in der „Visio beatifica“, der Schau Gottes in der Ewigkeit, im Himmel fest.

Ferienzeit ist vor allem Zeit für die Pflege unserer Beziehungen in der Familie oder auch im Freundeskreis. Deshalb wird es oft so sein, dass wir Dinge gemeinsam unternehmen, vor allem, wenn noch nicht erwachsene Kinder da sind. Hier ist unsere Bereitschaft zum Kompromiss gefragt. Das ist eine konkrete Form der Nächstenliebe, die das Familien- und Gesellschaftsleben erst gangbar und angenehm macht. Ich kannte jemanden, der allein in Urlaub fuhr und die Familie, Frau und kleinen Sohn, zu Hause ließ. Offensichtlich fehlte ihm die Bereitschaft zu einem solchen Kompromiss. Ob es ihm und der Familie dabei gut ging, bezweifle ich.

Und dann die Ansichtskarte! Sie kann Wunder der Freundschaft bewirken, wenn wir sie statt einer Mail oder WhatsApp mit Fotoanhang unserem besten Freund oder der besten Freundin oder Kolleg/en/in schicken. Sie hängt noch Jahre an der Pinnwand in der Küche oder im Büro und erinnert daran, dass wir an sie oder ihn gedacht haben und uns der Mühe unterzogen haben, die schönste Karte mit Meeresblick auszusuchen und eine Briefmarke darauf zu kleben und zum Briefkasten zu gehen und sie einzuwerfen. Auch wenn sie erst mit drei Wochen Verspätung aus Italien ankäme, macht sie noch Freude.

Nächster Ferien-Blog 25.7.20