WEINERNTE

Geschrieben am 14.10.2020
von Joachim Heisel


Wenn wir sehen oder hören verbindet sich mit unseren Sinneseindrücken immer unsere ganze Person, unsere ganze Geschichte, unsere Vergangenheit, unsere Beziehungen zu anderen Menschen. Wir sehen und hören auch anders in der Jugend als im Alter. Anders hören und sehen wir je nach dem, ob wir froh gestimmt sind oder traurig. Jeder Mensch hat seine eigene Welt und ist eine eigene Welt. Nur wenn wir die Tür zu unserem Innern öffnen, können andere daran teilnehmen. In der Kunst teilt uns der Künstler oder die Künstlerin mit, wie er oder sie die Welt sieht und erlebt.

Jetzt im Herbst spielt uns die Natur eine Symphonie der Farben und gleichzeitig ein Bild  der Erfüllung  und des Vergehens vor - ein Bild für unser Leben -, das auch zu Reife und Fülle gelangen soll. Wir erleben die Jahreszeiten anders in der Jugend als im Alter, den Frühling als Zeit der Erwartung und Verheißung, den Herbst als Zeit der Ernte und des Fallens der Blätter.

In poetischer Weise hat  der Schweizer Dichter Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834) in seinem Gedicht über die Weinernte uns ein frohes Bild des Herbstes in Worten gemalt. Wer jetzt in die Weingegenden fahren kann, wird feststellen, dass sich bei der Arbeit -abgesehen vom Maschineneinsatz-  seit damals nicht soviel geändert hat, sehen wir einmal ab von den Geigen, den Flöten und dem Ringeltanz, aber wer weiß…? - Auch heute ist besonders an  Mosel und Rhein vor allem in den steileren Lagen der Weinberge noch viel Handarbeit dabei. Aber bekanntlich wächst gerade dort, wo der Winzer den meisten Schweiß lässt, der beste Wein. Eigentlich wie im Leben…

Weinernte

Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
Rote Blätter fallen,
graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind.

2.
Wie die volle Traube
aus dem Rebenlaube
purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche, mit Streifen
rot und weiß bemalt.

3.
Flinke Träger springen,
und die Mädchen singen,
alles jubelt froh!
Bunte Bänder schweben
zwischen hohen Reben
auf dem Hut von Stroh.

4.
Geige tönt und Flöte
bei der Abendröte
und im Mondesglanz;
junge Winzerinnen
winken und beginnen
frohen Erntetanz/deutschen Ringeltanz.