ERNTEDANK

Geschrieben am 30.09.2020
von Joachim Heisel


Es gab die Zeiten ohne Supermarkt. Als meine Eltern Anfang der fünfziger Jahre aus der Stadt nach Heiligkreuz, einen Stadtteil am Rande von Trier, zogen, gab es dort noch Bauernhöfe. Kühe zogen regelmäßig durch die Straßen und hinter unserem Garten wurde noch mit Pferden gepflügt. Kühe weideten auf den umliegenden Wiesen. Wir holten Milch beim Bauern in der Milchkanne und erprobten die Schwerkraft unter Rundumschwingen der Kanne. Das ging nicht immer gut. Plastik war unbekannt.

Im Frühsommer gab es Bittprozessionen, bei denen wir mit der Pfarrei morgens um 6 Uhr über Felder und Wiesen zogen und um gutes Gedeihen der Früchte des Feldes beteten. Es gab den Feldhüter, meist ein Rentner, der aufpasste, dass niemand durch die reifen Kornfelder lief. Als ich einmal mit einem schönen Strauß Feldblumen meiner Mutter eine Freude machen wollte, klingelte wenig später der Feldhüter, der uns beim Blumenpflücken im Kornfeld gesehen hatte. Im Herbst kam eine riesige Dreschmaschine und die Bauern brachten die geernteten Garben herbei. So war für uns damals offensichtlich, dass das, was täglich auf den Tisch kam, hart erarbeitet und von Himmel und Erde abhängig war. Brot wegzuwerfen galt als Sünde. Zu kurz war noch die Erinnerung an die Knappheit von Krieg und Nachkriegszeit.

Am Erntedankfest, dem ersten Sonntag im Oktober, werden auch heute noch wie damals Feldfrüchte in den Kirchen zum Altar gebracht. Vor einiger Zeit sah ich im Fernsehen einen Bericht aus Cottbus. Eine junge Frau hatte eine Gruppe um sich versammelt, die auf der Hauptstraße der Stadt Mülleimer voll mit Nahrungsmitteln aufstellten. Sie hielten Passanten an und fragten sie: Was glauben Sie, wie viele Lebensmittel pro Person im Jahr in Deutschland im Abfall landen? - Dann führten sie die Leute zu den Mülleimern, die bis oben voll waren. Die Leute waren sichtlich beeindruckt und auch betroffen…

Heute werden die Lebensmittel vom Erntealtar oft an Bedürftige gespendet. Manchmal wird  auch zu Spendenaktionen für Hilfsprojekte aufgerufen als Erinnerung daran, dass es vielen Menschen auf der Welt nicht so gut geht wie uns.

Der Abschluss der Ernte wird von jeher festlich begangen. Schon im ersten Buch der Bibel ist von Erntedank die Rede. Die Brüder Kain und Abel bringen Gott die Erzeugnisse ihrer jeweiligen Arbeit dar: Kain opfert Früchte, sein Bruder als Hirte ein Tier seiner Herde (vgl. Genesis 4).

Im alten Ägypten, im antiken Griechenland und im Römischen Reich brachten die Menschen den Göttern Opfergaben als Dank für die Ernte dar. Auch Kelten und Germanen dankten ihren Göttern mit Tieropfern und dem Brauen von Erntebier (ein Vorläufer des Oktoberfestes ?).

Im Alten Testament wird von zwei Erntedankfesten berichtet, die jeweils im Juni zur Getreideernte und im September zur Weinlese gefeiert wurden. Dabei wurde Gott als dem Herrn der Schöpfung für die Ernte gedankt.

Das Erntedankfest ist eine gute Gelegenheit, Erwachsenen und Kindern bewusst zu machen, dass Brot, Obst und Gemüse nicht im Supermarkt wachsen und dass alle Lebensmittel letztlich „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“ (Gabengebet der Eucharistiefeier) und Gaben Gottes an uns Menschen sind. Das Erntedankfest erinnert uns auch an die Abhängigkeit des Menschen von der Natur, die uns als Teil der Schöpfung von Gott zur Bewahrung anvertraut ist.

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