ALLERHEILIGEN UND ALLERSEELEN

Geschrieben am 31.10.2020
von Joachim Heisel


An Allerheiligen gedenkt die Kirche aller Heiligen, vor allem derer, deren Namen uns unbekannt ist. Heilige sind Menschen, die ihr Leben auf Gott ausgerichtet haben und nach ihrem Tod zur Gemeinschaft mit Gott gelangt sind. Das braucht kein großes spektakuläres Leben gewesen sein. Als Arzt habe ich solche Menschen kennengelernt, die ihr Leben im Verborgenen für andere vor den Augen Gottes verbraucht haben. Die große Kirchenlehrerin Therese von Lisieux meinte, dass wir viele der größten Heiligen überhaupt nicht kennen.

An Allerseelen gedenkt die Kirche aller Verstorbenen, die nach dem Tod noch der Läuterung harren in der festen Sicherheit, dass sie bei Gott sein dürfen. An diesem Tag ruft uns die Kirche besonders auf, für die Verstorbenen zu beten und Eucharistie zu feiern.

Das Fest Allerheiligen wird in der Kirche des Ostens bereits seit dem vierten Jahrhundert gefeiert. Am 13. Mai 609 wurde das heidnische Pantheon in Rom, wo früher die Götter Roms verehrt wurden, von Papst Bonifatius IV. der Muttergottes Maria und allen heiligen Märtyrern geweiht. Hundert Jahre später am 1.November weihte Papst Gregor III. eine Kapelle in der antiken Basilika Sankt Peter, dem Vorgängerbau der jetzigen Petersbasilika, zu Ehren der heiligen Märtyrer.Ab dem achten Jahrhundert wurde das Fest zunächst in Frankreich und dann in der gesamten westlichen Kirche gefeiert. Seit dem 10. Jahrhundert wurde ausgehend vom Reformkloster Cluny in Burgund am 2. November das Fest Allerseelen  gefeiert. Es ist gut für uns, sich von dem Strom dieser Überlieferung umfließen zu lassen.

Als Christen dürfen wir glauben, dass wir durch die Taufe mit Christus und untereinander  verbunden sind und dass wir mit den Christen, die vor uns gelebt haben, und die nach uns leben werden auf geheimnisvolle Weise zu einem „mystischen Leib“ in Christus vereint sind und miteinander in lebendiger geistiger Verbindung stehen, denn so schreibt der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther (1 Kor 12): Denn wie der Leib einer ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden mit dem einen Geist getränkt durch die eine Taufe 

Vom christlichen Standpunkt aus ist es sinnvoll und gut, sich mit unseren Vorfahren, besonders mit denen, die mit uns gelebt haben, im Gebet zu verbinden. Wir sind das bindende Glied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wir sind Teil des Flusses, der noch nicht in den Strom des ewigen Lebens bei Gott eingemündet ist, von dem es in der Geheimen Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel, heißt: Gott wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.(vgl. Geh. Offg 21,4).

Wir fühlen uns heute als Glied der Evolution. Das ist eine Möglichkeit, sein Leben zu sehen. Als Christen glauben wir, dass unser Leben sich nicht im Nirwana verliert oder wir uns in Moleküle auflösen, sondern, dass wir im Tod einer persönlichen Begegnung mit Christus, dem Sohn Gottes, entgegen gehen.

In seiner Enzyklika Spes Salvi über die Hoffnung drückt dies Papst Benedikt XVI. so aus: Das Begegnen mit ihm (Christus) ist der entscheidende Akt des Gerichts. Vor seinem Anblick schmilzt alle Unwahrheit. Die Begegnung mit ihm ist es, die uns umbrennt und freibrennt zum Eigentlichen unserer selbst. Unsere Lebensbauten können sich dabei als leeres Stroh, als bloße Großtuerei erweisen und zusammenfallen. Aber in dem Schmerz dieser Begegnung, in der uns das Unreine und Kranke unseres Daseins offenbar wird, ist Rettung. Sein Blick, die Berührung seines Herzens heilt uns in einer gewiss schmerzlichen Verwandlung "wie durch Feuer hindurch". Aber es ist ein seliger Schmerz, in dem die heilige Macht seiner Liebe uns brennend durchdringt, so dass wir endlich ganz wir selber und dadurch ganz Gottes werden.

So wird auch das Ineinander von Gerechtigkeit und Gnade sichtbar: Unser Leben ist nicht gleichgültig, aber unser Schmutz befleckt uns nicht auf ewig, wenn wir wenigstens auf Christus, auf die Wahrheit und auf die Liebe hin ausgestreckt geblieben sind… Im Augenblick des Gerichts erfahren und empfangen wir dieses Übergewicht seiner Liebe über alles Böse in der Welt und in uns. Der Schmerz der Liebe wird unsere Rettung und unsere Freude… Der verwandelnde "Augenblick" dieser Begegnung entzieht sich irdischen Zeitmaßen – ist Zeit des Herzens, Zeit des "Übergangs" in die Gemeinschaft mit Gott im Leibe Christi.

Das Gericht Gottes ist Hoffnung, sowohl weil es Gerechtigkeit wiewohl weil es Gnade ist. Wäre es bloß Gnade, die alles Irdische vergleichgültigt, würde uns Gott die Frage nach der Gerechtigkeit schuldig bleiben – die für uns entscheidende Frage an die Geschichte und an Gott selbst. Wäre es bloße Gerechtigkeit, würde es für uns alle am Ende nur Furcht sein können. Die Menschwerdung Gottes in Christus hat beides – Gericht und Gnade – so ineinandergefügt, daß Gerechtigkeit hergestellt wird: Wir alle wirken unser Heil "mit Furcht und Zittern" (Phil 2, 12). Dennoch läßt die Gnade uns alle hoffen und zuversichtlich auf den Richter zugehen, den wir als unseren "Advokaten", parakletos, kennen (vgl. 1 Joh 2, 1).

Noch ein Motiv muß hier Erwähnung finden, weil es für die Praxis christlichen Hoffens Bedeutung hat. Wiederum schon im Frühjudentum gibt es den Gedanken, daß man den Verstorbenen in ihrem Zwischenzustand durch Gebet zu Hilfe kommen kann (z.B. 2 Makk 12, 38- 45; 1. Jahrhundert v. Chr.). Die entsprechende Praxis ist ganz selbstverständlich von den Christen übernommen worden, und sie ist der Ost- und Westkirche gemeinsam.

Der Osten kennt kein reinigendes und sühnendes Leiden der Seelen im "Jenseits", wohl aber verschiedene Stufen der Seligkeit oder auch des Leidens im Zwischenzustand. Den Seelen der Verstorbenen kann aber durch Eucharistie, Gebet und Almosen "Erholung und Erfrischung" geschenkt werden. ..

 Dass Liebe ins Jenseits hinüberreichen kann, dass ein beiderseitiges Geben und Nehmen möglich ist, in dem wir einander über die Grenze des Todes hinweg zugetan bleiben, ist eine Grundüberzeugung der Christenheit durch alle Jahrhunderte hindurch gewesen und bleibt eine tröstliche Erfahrung auch heute. Wer empfände nicht das Bedürfnis, seinen ins Jenseits vorangegangenen Lieben ein Zeichen der Güte, der Dankbarkeit oder auch der Bitte um Vergebung zukommen zu lassen? ... Unsere Existenzen greifen ineinander, sind durch vielfältige Interaktionen miteinander verbunden. Keiner lebt allein. Keiner sündigt allein. Keiner wird allein gerettet. In mein Leben reicht immerfort das Leben anderer hinein: in dem, was ich denke, rede, tue, wirke. Und umgekehrt reicht mein Leben in dasjenige anderer hinein: im Bösen wie im Guten. So ist meine Bitte für den anderen nichts ihm Fremdes, nichts Äußerliches, auch nach dem Tode nicht. In der Verflochtenheit des Seins kann mein Dank an ihn, mein Gebet für ihn ein Stück seines Reinwerdens bedeuten.

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