ICH RÜHME MICH MEINER SCHWACHHEIT

Geschrieben am 13.02.2021
von Joachim Heisel


Ich rühme mich meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt (2 Kor 12,9)….denn in der Schwachheit kommt die Kraft zur Vollendung….(2 Kor 12,9)

Wir sind stolz darauf, wenn wir etwas aus eigener Kraft geschafft haben. Das ist gut und stärkt unser Selbstvertrauen. Aber wir haben auch die Erfahrung, dass wir bei aller Bemühung viele Dinge in unserem Leben nicht zuwege bringen. So kann es sein, dass wir uns eine Vorstellung von einer Beziehung machen, die so im Laufe der Zeit  nicht zu realisieren ist.

In dem Roman Middlemarch aus dem England des 19. Jahrhunderts von George Elliot (1819-1880) schildert die Autorin eine solche Situation. Eine zwanzigjährige Frau hat einen  siebenundvierzigjährigen intellektuell hoch stehenden Theologen geheiratet mit der idealen Vorstellung, an seinen Geistesflügen Anteil zu haben und damit in höhere Daseinssphären zu gelangen. Am Anfang der Ehe steht eine Hochzeitsreise nach Rom, bei der der frischgebackene Ehemann zum Studium in römische Bibliotheken verschwindet und seine blutjunge Ehefrau im Hotelzimmer zurücklässt. Eine sozusagen klassische Situation, die man auch auf heutige Verhältnisse in anderer Weise übertragen könnte.

So kam vor einiger Zeit eine junge Türkin, die in München aufgewachsen war, in die Sprechstunde, weil sie mit einer Depression zu kämpfen hatte. Ihr Ehemann, den sie aus der Türkei mitgebracht hatte, entpuppte sich als Faulenzer, der kein Wort deutsch lernte und sich in hiesige Verhältnisse nicht eingewöhnen wollte. Er ließ seine junge Frau jeden Abend allein und traf sich mit seinen türkischen Kumpanen. Auch hier wurden Erwartungen nicht erfüllt.

George Elliot war selbst zwei Mal verheiratet, spricht sozusagen aus eigener Erfahrung. Zuvor hatte sie eine außereheliche Beziehung zu einem verheirateten Mann. Nach ihrer letzten Eheschließung hat sich ihr 20 Jahre jüngerer Ehemann auf der Hochzeitsreise nach Venedig aus dem Hotelfenster in einen der Kanäle Venedigs gestürzt, wurde aber gerettet. Sie selbst starb noch im gleichen Jahr.

In ihrem Roman Middlemarch beschreibt die Autorin mit feiner Ironie die Situation des so ungleichen  frisch vermählten Paars auf seiner Hochzeitsreise in Rom:…Doch ist die Schwelle der Hochzeit überschritten, so richtet sich die Erwartung auf den gegenwärtigen Zustand. Hat man sich einmal zu der gemeinsamen Meerfahrt eingeschifft, so muss es schließlich auffallen, dass das Schiff nicht vorwärts kommt und das Meer noch immer nicht auftaucht - dass man, wie sich`s nun erweist, nur ein abgeschlossenes  Hafenbecken ergründet.

In einer schwierigen Situation ihrer Ehe kam einmal eine Patientin zu mir. In der Tat war ihre Lage sehr vertrackt  und der Verlauf ihrer Ehe entsprach überhaupt nicht ihren anfänglichen Vorstellungen. Nun lebte sie getrennt  von ihrem Mann.. Sie war gläubige Christin und schöpfte von  daher ihre Kraft. Nach einer Reihe von Gesprächen zitierte sie mir eines Tages einen Satz aus dem 2. Korintherbrief des Apostel Paulus, wo er schreibt: Ich rühme mich meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt…und dann sagte sie: „Dieser Satz hat mir geholfen, mich selbst und meine Situation anzunehmen“.

In ihrer Ehe hatte sie große Enttäuschungen erlitten. Es war ihr nicht gelungen, ihre Ehe so zu leben, wie sie sich das mit ihrem angetrauten Mann vorgestellt hatte. Der Satz des heiligen Paulus aber hat ihr nach langen vergeblichen Kämpfen zum Seelenfrieden verholfen. Ihr Fazit: „Wenn ich keine Kraft habe, etwas umzusetzen, vertraue ich darauf, dass Gott auf seine Weise wirkt…auch wenn Fehler auf Grund meiner eigenen Wesensart geschehen sind, die sicher auch am Scheitern unserer Beziehung mit Schuld getragen haben…Wir alle haben unser Wunschprogramm, das aber nie ganz in Erfüllung geht..… Man kann die Dinge nur bei sich selber ändern…Manchmal können wir Gott nur behindern."

Sie konnte damit aus dem Teufelskreis von Schuldzuweisungen  und Selbstvorwürfen wegen des Scheiterns ihrer Ehe herausfinden und hat erkannt, dass ihr Gelingen nicht allein in ihrer Macht stand. Im Licht der Erkenntnis des heiligen Paulus hat sie alles in ihrem Leben Gott anheim gestellt. Auch hatte sie zu unterscheiden gelernt, wo sie selbst versagt hatte und  wo beim Scheitern ihrer Ehe fremdes Versagen vorlag und auch, dass Vergeben nicht unbedingt Vergessen heißen muss.

Vielleicht drückt das folgende Gebet um Gelassenheit, dessen Autorschaft umstritten ist, einiges von dem aus:

Lehre mich erkennen, was ich verändern kann

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Einen Tag nach dem anderen zu leben,
einen Moment nach dem anderen zu genießen.
Entbehrung als einen Weg zum Frieden zu akzeptieren.
Diese sündige Welt anzunehmen, wie Jesus es tat,
und nicht so, wie ich sie gern hätte.
Zu vertrauen, dass Du alles richtig machen wirst,
wenn ich mich Deinem Willen hingebe,
sodass ich in diesem Leben ziemlich glücklich sein möge
und im nächsten für immer überglücklich.
Amen.

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