NICHT VOM BROT ALLEIN

Geschrieben am 31.03.2021
von Joachim Heisel


Der Hunger geht über das tägliche materielle Brot und das, was der Mensch zum Leben und Überleben braucht, hinaus. „Es gibt viele Menschen auf der Welt, die verzweifelt nach einem Stück Brot verlangen, aber es gibt noch viel mehr, die sich verzweifelt nach einem Stück Liebe sehnen. (…) Es gibt einen Hunger nach Liebe und genauso gibt es einen Hunger nach Gott.“ (Mutter Teresa)

Liebe ist das tägliche Brot, von dem die Menschen leben, und sie schreien danach wie kleine Kinder, wenn sie ihnen vorenthalten wird. Es ist aber auch der Hunger nach Gott, der sich unter der Oberfläche infolge der geistigen Dürre in unserer Gesellschaft ausbreitet, der sich in Sinnleere und in Verzweiflung äußert, denn wer sollte unserem Leben letzten Sinn und Halt geben, wenn nicht Gott. Als Jesus vor seinem öffentlichen Leben vierzig Tage und Nächte gefastet hatte, verspürte er Hunger (vgl. Mt 4, 4). Da trat der Versucher an ihn heran und riet ihm, seine Wunderkraft zu gebrauchen und Steine zu Brot werden zu lassen. Jesus erwiderte ihm mit einem Wort aus dem Alten Testament: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund“ (Dtn 8, 3; Mt 4, 4).

Wenn der Mensch die Hoffnung, geliebt zu werden, verliert, lebt er zwar weiter, wenn er sich nicht selbst das Leben nimmt. Und nicht wenige begehen sozusagen Selbstmord auf Raten, z.B. durch Drogen und Alkohol. Der Mensch will durch Rausch oder Betäubung einem Leben ohne Hoffnung zumindest für einige Stunden entfliehen. Gerade bei jungen Menschen kann die Hoffnung auf ein sinnvolles Leben sterben. Das geschieht nach traumatischen Erlebnissen wie schweren seelischen Verletzungen etwa durch Misshandlungen körperlicher, seelischer oder auch sexueller Art, durch Verlust oder Trennung von geliebten Personen, aber auch durch gezielte Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Sinnleere. Das kann gerade bei Jugendlichen zu Drogen- und Alkoholmissbrauch (Stichwort Koma-Saufen) und im Extremfall auch zum Ausbruch plötzlicher brutaler Gewalt führen. Wir haben das auf schreckliche Weise erlebt bei den unfasslichen Amokläufen an Schulen in Deutschland oder den USA im Sinne von Rache und erweitertem Selbstmord oder auch durch Anschluss an Terrorgruppen.

In unserer gegenwärtigen Gesellschaft müssen wir oft lange nach dem Wort Gottes suchen. In den Medien, in unseren Gesprächen, in unserer Arbeit und Freizeit, an unseren Sonntagen spielt das Wort Gottes kaum mehr eine Rolle. Im Alten Testament heißt es beim Propheten  Amos im 8. Kapitel: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht Gott der Herr, dass ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn, es zu hören, dass sie hin und her von einem Meer zum andern, von Norden nach Osten laufen und des Herrn Wort suchen und doch nicht finden werden“ (Amos 8, 11).

Wir selbst setzen uns diesem Mangel aus, ohne ihn als Hunger zu spüren. Es ist wie wenn jemand infolge übermäßigen Alkoholkonsums zu wenig Vitamine aufnimmt und dann an einer Nervenstörung erkrankt: Wir nehmen zu viel von dem auf, was uns vordergründig befriedigt, doch zu wenig von dem, was unserem Leben Sinn und Gehalt geben kann. Wir leiden an einer Art geistiger Unterernährung,  so dass uns die nötige Nahrung fehlt, um im Alltag zu bestehen. Vor Jahren gab es eine geistliche Bewegung, die ihren Mitgliedern zum Ziel gesetzt hatte, jeden Tag einen Abschnitt aus der Heiligen Schrift zu lesen. Das geschah aus der Überzeugung, dass der Christ, um im Alltag zu überleben, das Wort Gottes braucht. Manchmal erinnern wir uns später an Worte, die Vater oder Mutter oder ein anderer Mensch in einem bestimmten Augenblick zu uns gesagt haben. Erst nach Jahren geht uns manchmal ihre tiefere Bedeutung auf. So kann es auch mit dem Wort Gottes geschehen. Wir haben es schon oft gehört, aber in einem bestimmten Augenblick oder in einer bestimmten Lebenssituation bekommt es für uns eine neue und große Bedeutung.

Aus meinem Buch "Im Licht des Vaterunser", erhältlich im Fe-Verlag Kisslegg

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