LOB DES GEHENS

Geschrieben am 12.05.2021
von Joachim Heisel


„Ich freue mich auf den Tag, an dem Ärzte auf der ganzen Welt Spaziergänge verschreiben, um unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zu steigern“, schreibt der irische Naturwissenschaftler Jane O’Mara in seinem Buch „Das Glück des Gehens“.

In Corona -Zeiten haben viele Menschen Spazierengehen als einzige Möglichkeit entdeckt, mit Menschen im Freien zusammen zu sein. Wissenschaftler gehen davon aus, dass 7000 bis 8000 Schritte am Tag lebensverlängernd wirken. Ein Erwachsener in Deutschland legt durchschnittlich 5200 Schritte am Tag zurück. Neurowissenschaftler sagen, dass beim Gehen viele verschiedene Hirnareale betätigt werden und somit Gehen einer Alterung des Gehirns entgegenwirkt. Wer unterwegs ist, muss viele Eindrücke verarbeiten und übt damit gleichzeitig ein effektives Gehirntraining. Besonders die Kombination von Gehen und intellektueller Betätigung wirkt anregend auf das Gehirn. Ein Gradmesser für eine beginnende Demenz kann sein, dass jemand beim Gehen auch einfache Rechenaufgaben nicht mehr lösen kann. Umgekehrt kann sich mangelnde Mobilität negativ auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit auswirken.

Der Mensch ist von Natur aus als gehendes und nicht als sitzendes Wesen konzipiert. Unsere Vorfahren haben als Sammler und Jäger jeden Tag viele Kilometer zurückgelegt. Das steckt uns noch in den Genen. Auf einer sportmedizinischen Fortbildung meinte ein Professor, die gefährlichste Tätigkeit des Menschen sei das Sitzen.

An zweiter Stelle kommt wahrscheinlich der Selbstmord mit Messer und Gabel, wobei dann oft ein Circulus vitiosus (Teufelskreis) entsteht: Weil man mehr isst als der Körper braucht, nimmt man zu und weil man zunimmt, kann man sich schlechter bewegen. Dabei erinnere ich mich an einen Patienten, der mit seinen Pfunden zu kämpfen hatte. Er kam in die Sprechstunde und sagte: Herr Doktor, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Ich sagte: „Dann sagen Sie mir erst die gute“. Und er: „Ich habe nicht zugenommen“. „Aha, und was ist die schlechte Nachricht?“ -  „Ich habe nicht abgenommen“.

Man kann Gehen auch verlernen. Ich erinnere mich an Patienten, die aus verschiedenen Gründen über Jahre hinweg zu wenig gegangen sind und dann das Gehen regelrecht verlernt hatten. Muskeln bilden sich im Laufe der Zeit zurück, wenn sie nicht betätigt werden. Am Ende steht eine Sarkopenie (Muskelschwund), die längeres Gehen unmöglich macht und dann auch mit einem Verlust der Koordination der Bewegung beim Gehen einhergeht, womit das Sturzrisiko erhöht ist.

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