WALLFAHRT

Geschrieben am 05.05.2021
von Joachim Heisel


Das Wort wallfahren kommt von wallen und bedeutet unterwegs sein. Vor Jahren schrieb Hape Kerkeling ein Buch mit dem Titel „Ich bin dann mal weg“ und erzielte damit eine millionenfache Auflage. Er beschrieb seine Wallfahrt als „Buddhist mit christlichem Überbau“ nach Santiago de Compostela. Wallfahrten sind in den letzten Jahren in Mode gekommen. Das Unterwegssein auch im religiösen Sinne kommt wohl dem Lebensgefühl des heutigen Menschen entgegen.

Der Monat Mai ist in der katholischen Tradition der Monat Mariens. Seit im 19. Jahrhundert im Zeitalter der Romantik die Marienfrömmigkeit neu entdeckt wurde, finden Wallfahrten zu Marienheiligtümern etwa nach Altötting in Bayern oder Kevelaer im Rheinland statt.

Der wohl bekannteste Dichter der Frühromantik Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772-1801), Protestant, schrieb ein Gedicht mit dem Titel „Pilger“ im gefühlvollen Stil des Zeitalters der Empfindsamkeit wie die Frühromantik genannt wird:

Ich sehe dich in tausend Bildern,

Maria, lieblich ausgedrückt,

Doch keins von allen kann dich schildern,

Wie meine Seele dich erblickt.

Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel

Seitdem mir wie ein Traum verweht

Und ein unnennbar süßer Himmel

mir ewig im Gemüte steht.

Novalis, Geistliche Lieder, 1802. X

Man kann Wallfahren auch als Beten mit den Füßen bezeichnen. In meiner Kindheit habe ich mit meiner Großmutter und meiner Cousine oft Wallfahrten nach Klausen, einem Wallfahrtsort in der Nähe von Trier, gemacht. Wir fuhren mit dem Zug bis nach Salmrohr, der nächsten Bahnstation, und von da aus zu Fuß über Esch nach Klausen. Aus Esch stammte der Taglöhner Eberhard, der auf seinem Weg zur Arbeit in der Höhlung eines Baumes eine Pietà (Maria mit dem Leichnam Jesu auf dem Schoß) aufgestellt hatte, die heute noch in der Wallfahrtskirche steht und vor der jeden Tag gläubige Pilger beten.

Als Eberhard auf seinem Weg zur Arbeit davor betete, bekam er die Eingebung, dort eine Kirche zu bauen. Er fing damit an, aber als der Wein ausging, streikten die Arbeiter - in einer Weingegend wie der Mosel absolut verständlich - und bauten nicht weiter an der Kirche. Es wird dann berichtet, dass Eberhard betete und sich das Weinfass daraufhin wieder mit Wein füllte und nicht leer wurde bis die Kirche fertiggestellt war. Aus Erinnerung und Dankbarkeit wurde das Fass auf die Kirchturmspitze gestellt, wo es heute noch zu sehen ist. Wer das alles nicht glauben will, soll selbst mal hinfahren!

Wenn wir als Kinder nach einer Biegung des Weges durch den Wald unter  Rosenkränzen und Gesängen das Fass auf der Kirchturmspitze sahen und das Forsthaus mit geschwungenem Dach und grünen Fenstern umgeben von einem großen Garten, war mir das als Kind ein Zeichen, dass wir bald in die Kirche einziehen würden, und wir nach einem Gebet in der Gnadenkapelle und nach einer Andacht mit viel Weihrauch und innigen Marienliedern im Restaurant bei Kaffee und Kuchen einkehren würden.

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