SCHWANKENDES BOOT

Geschrieben am 13.05.2022
von Joachim Heisel


Aus einem Brief von Papst Franziskus an die Familien zum Jahr der Familie 2021 vom 26.12.21:

Ich möchte die Gelegenheit nutzen und im Lichte dieser Bibelstellen über einige Probleme und Chancen nachdenken, die den Familien in dieser Zeit der Pandemie begegnet sind. So hat man zum Beispiel mehr Zeit miteinander verbracht, und das war eine einzigartige Gelegenheit, den Dialog in der Familie zu pflegen. Natürlich erfordert dies eine gehörige Portion Geduld; es ist nicht einfach, den ganzen Tag zusammen zu sein, wenn man im selben Haus arbeiten, lernen, sich erholen und ausruhen muss. Lasst Euch von der Müdigkeit nicht unterkriegen, die Kraft der Liebe befähige Euch, mehr auf den anderen – den Ehepartner, die Kinder – zu schauen als auf die eigenen Schwierigkeiten. Erinnert Euch an das, was ich euch in Amoris laetitia (vgl. Nr. 90-119) geschrieben habe, wo ich Bezug genommen habe auf den paulinischen Hymnus über die Liebe (vgl. 1 Kor 13, 1-13). Bittet die Heilige Familie inständig um diese Gabe; lest erneut diesen Lobpreis der Liebe, auf dass sie eure Entscheidungen und euer Handeln inspirieren möge (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6).

Auf diese Weise ist das Zusammensein keine Buße, sondern eine Zuflucht inmitten aller Unbilden. Die Familie möge ein Ort des Willkommens und des Verständnisses sein. Bewahrt im Herzen den Rat, den ich den Brautleuten in drei Worten mit auf den Weg gegeben habe: »„Darf ich?“, „danke“ und „entschuldige“«. Und bei Konflikten lasse man niemals den »Tag zu Ende gehen, ohne Frieden in der Familie zu schließen«. Schämt Euch nicht, gemeinsam vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Jesus zu knien, um Momente des Friedens zu erleben und einen Blick voller Zärtlichkeit und Güte auszutauschen. Oder die Hand des anderen zu nehmen, wenn er ein bisschen verärgert ist, um ihm ein vertrauliches Lächeln zu entlocken. Vielleicht wollt Ihr abends vor dem Einschlafen gemeinsam ein kurzes Gebet an Jesus richten, der immer bei Euch ist.

Dennoch, für einige Paare war das enge Zusammenleben, zu dem sie in der Quarantänezeit gezwungen waren, besonders schwierig. Bereits bestehende Probleme verschärften sich und führten zu Konflikten, die nahezu unerträglich wurden. Viele erlebten gar das Zerbrechen ihrer Beziehung aufgrund einer Krise, die nicht überwunden werden konnte. Auch diesen Menschen möchte ich meine Verbundenheit und Zuneigung ausdrücken.

Das Zerbrechen einer ehelichen Beziehung bringt viel Leid mit sich, weil sich so vieles, was man sich vornimmt, nicht erfüllt; das fehlende Verständnis führt zu Streit und Wunden, die nicht leicht zu heilen sind. Auch den Kindern bleibt das Leid nicht erspart, wenn sie sehen, dass ihre Eltern nicht mehr zusammen sind. Versäumt es auch dann nicht, Hilfe zu suchen, sodass die Konflikte irgendwie überwunden werden können und nicht noch mehr Schmerz für Euch und Eure Kinder verursachen. Jesus, der Herr, wird Euch in seiner unendlichen Barmherzigkeit eingeben, wie Ihr in all den Schwierigkeiten und all dem Kummer weiterkommt. Unterlasst es nicht, zu ihm zu beten und bei ihm Zuflucht und das Licht zu suchen, das den Weg erhellt. Zudem sei Euch die Gemeinschaft der Kirche ein »Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 47).

Vergesst nicht, dass die Vergebung alle Wunden heilt. Gegenseitiges Verzeihen ist das Ergebnis einer inneren Entscheidung, die im Gebet, in der Beziehung zu Gott, reift, als ein Geschenk der Gnade, mit der Christus die Eheleute erfüllt, wenn sie ihn handeln lassen, wenn sie sich an ihn wenden. Christus „wohnt in“ Eurer Ehe und wartet darauf, dass Ihr ihm Euer Herz öffnet, damit er Euch mit der Kraft seiner Liebe beistehen kann, wie den Jüngern im Boot. Unsere menschliche Liebe ist schwach, sie braucht die Kraft der treuen Liebe Jesu. Mit ihm könnt Ihr ein »Haus auf Fels« (Mt 7,24) errichten.

Lasst mich in diesem Zusammenhang ein Wort an die jungen Menschen richten, die sich auf die Ehe vorbereiten. War es schon vor der Pandemie für die Verlobten schwierig, eine Zukunft zu planen, weil es nicht leicht war, einen festen Arbeitsplatz zu finden, so hat sich die Situation am Arbeitsmarkt jetzt noch verschärft. Ich lade daher die Verlobten ein, sich nicht entmutigen zu lassen und den „schöpferischen Mut“ des heiligen Josef an den Tag zu legen, dem ich in diesem ihm gewidmeten Jahr in besonderer Weise gedenken wollte. So dürft auch Ihr, wenn es darum geht, den Weg der Ehe zu beschreiten, auch wenn Ihr nur über geringe Mittel verfügt, immer auf die Vorsehung vertrauen, denn »manchmal sind es gerade die Schwierigkeiten, die bei jedem von uns Ressourcen zum Vorschein bringen, von denen wir nicht einmal dachten, dass wir sie besäßen« (Apostolisches Schreiben Patris corde, 5). Zögert nicht, bei Euren Familien und Freunden, in der Kirche und in der Pfarrei Halt zu suchen, um das zukünftige Ehe- und Familienleben zu leben und von denen zu lernen, die den Weg, den Ihr beginnt, bereits beschritten haben.

Bevor ich diesen Brief beschließe, möchte ich einen besonderen Gruß an die Großväter und Großmütter richten, die während der Zeit der Isolation nicht in der Lage waren, ihre Enkelkinder zu sehen und mit ihnen zusammen zu sein, an die älteren Menschen, die besonders stark unter der Einsamkeit litten. Die Familie kann nicht auf die Großeltern verzichten, sie sind das lebendige Gedächtnis der Menschheit, und »diese Erinnerung kann dazu beitragen, eine menschlichere, gastlichere Welt zu schaffen«.

Der heilige Josef möge in allen Familien den schöpferischen Mut wecken, den wir in diesem Epochenwechsel, den wir gerade erleben, so dringend brauchen. Die Gottesmutter begleite Euch in Eurer Ehe bei der Gestaltung einer „Kultur der Begegnung“, die wir so dringend brauchen, um die Widrigkeiten und Widerstände zu überwinden, die unsere Zeit verdunkeln. Die vielen Herausforderungen können denen, die wissen, dass sie mit dem Herrn unterwegs sind, nicht die Freude rauben. Lebt eure Berufung intensiv. Lasst nicht zu, dass eine traurige Mine eure Gesichter trübt. Dein Ehepartner braucht Dein Lächeln. Eure Kinder brauchen Eure ermutigenden Blicke. Die Hirten und die anderen Familien brauchen Eure Präsenz und Eure Freude: die Freude, die vom Herrn kommt!

Ich grüße Euch von Herzen und ermutige Euch, die Mission, die Jesus uns anvertraut hat, fortzuführen und am Gebet und am »Brechen des Brotes« (Apg 2,42) festzuhalten.

Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten; ich bete jeden Tag für Euch.

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