WIE MEINE SEELE DICH ERBLICKT

Geschrieben am 07.05.2022
von Joachim Heisel


Der Monat Mai ist in der katholischen Tradition der Monat Mariens. Seit im 19. Jahrhundert im Zeitalter der Romantik die Marienfrömmigkeit neu entdeckt wurde, finden Wallfahrten zu Marienheiligtümern etwa nach Altötting in Bayern oder Kevelaer im Rheinland statt.

Der wohl bekannteste Dichter der Frühromantik Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772-1801), Protestant, dessen 250. Geburtstag wir feiern, schrieb ein Gedicht mit dem Titel „Pilger“ im gefühlvollen Stil des Zeitalters der Empfindsamkeit wie die Frühromantik genannt wird:

Ich sehe dich in tausend Bildern,

Maria, lieblich ausgedrückt,

Doch keins von allen kann dich schildern,

Wie meine Seele dich erblickt.

Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel

Seitdem mir wie ein Traum verweht

Und ein unnennbar süßer Himmel

mir ewig im Gemüte steht.

Novalis, Geistliche Lieder, 1802

Man kann Wallfahren auch als Beten mit den Füßen bezeichnen. Johann Wolfgang von Goethe beschreibt das sehr lebendig in seinen Erinnerungen „Dichtung und Wahrheit“ an einen Ausflug nach Kloster Einsiedeln in der Schweiz, den er mit seinem Freund, dem später zum katholischen Glauben übergetretenen Friedrich Leopold Graf zu Stolberg unternommen hat: Eine Anzahl von Wallfahrern, die schon unten am See von uns bemerkt, mit Gebet und Gesang regelmäßig fortschritten, hatten uns eingeholt; wir ließen sie begrüßend vorbei und sie belebten, indem sie uns zur Einstimmung in ihre frommen Zwecke beriefen, diese anmutigen Höhen charakteristisch. Wir sahen lebendig den schlängelnden Pfad bezeichnet, den auch wir zu wandern hatten und  schienen freudiger zu folgen; wie denn die Gebräuche der römischen Kirche dem Protestanten durchaus bedeutend und imposant sind.

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