LEID ÜBERFORDERT UNS

Geschrieben am 05.04.2024
von Joachim Heisel


Eines Tages kam eine junge Studentin zu mir. Seit einigen Monaten litt sie unter Bauchschmerzen und Gewichtsverlust. Sie war bereits organisch durch und durch untersucht worden und man hatte nichts gefunden. Es blieb also nur die Seele als krankes „Organ“ übrig. In mehreren Gesprächen stellte sich heraus, dass ihre zwei Jahre ältere Schwester vor einem Jahr an einer Tumorkrankheit verstorben war. Obwohl sie die Schwester sehr gerne hatte, fand sie während ihrer Krankheit nicht die Kraft, zu ihr zu gehen. Erst am Sterbetag der Schwester ging sie hin, aber die Schwester war bereits gestorben. Sie konnte mit niemandem über ihr Leid sprechen. Bei den Eltern durfte sie nicht über den Tod der Schwester sprechen, weil es für sie ein Tabu-Thema war, dem sie sich in ihrem Schmerz nicht stellen konnten.
 
Im Laufe der Zeit konnten wir uns im Gespräch ihrem Problem nähern. Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben Ohnmacht erfahren − Ohnmacht gegenüber dem unausweichlichen Schicksal der Schwester, aber auch Ohnmacht im Bezug auf ihr eigenes Unvermögen, der geliebten Schwester in ihrem schweren Leiden beizustehen. Erst als sie das erkannte und aussprechen konnte, ging es ihr besser.
 
Es gibt Situationen, die uns überfordern, und wir müssen den Mut haben, es uns einzugestehen. Manchmal bleibt uns nur übrig, darauf zu vertrauen, dass Gott auch da noch hilft, wo unsere eigenen Kräfte versagen. Vielleicht hätte die Patientin Kraft gefunden, zu ihrer  Schwester zu gehen, wenn sie hätte beten können. Letzten Endes war es ihr unbewältigtes Leid und das ihrer Schwester, das diese Patientin niedergedrückt und schwer krank gemacht hatte. 

Aus meinem Buch "Im Licht des Vaterunser" online erhältlich im Fe-Medienverlag Kisslegg

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HINWEIS: Der diesjährige MÜNCHENER MARSCH FÜRS LEBEN findet am Samstag 13. April um 13 Uhr mit Beginn auf dem Königsplatz statt.

Das Motto lautet: GEMEINSAM FÜR DAS LEBEN!