Wenn wir von der Hoffnung des Christen sprechen, dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, was diese Hoffnung gemeinsam hat mit der allgemeinen Hoffnung der Menschen und was diese Hoffnung von ihr unterscheidet. Der Begriff Hoffnung im allgemeinen bezeichnet das feste Vertrauen auf das Erlangen eines zukünftigen Gutes. Er beinhaltet also ein Noch-nicht-Haben und ein Sich-Ausstrecken nach etwas, von dem es sich lohnt, es zu erhalten. Die natürliche Hoffnung richtet sich auf die Dinge dieser Welt: Ich hoffe, innerhalb meines Lebens ein bestimmtes Ziel zu erreichen, dass mir die Gesundheit erhalten bleibt, dass ich eine bestimmte Seinserfüllung erfahre oder dass mir ein Glück zuteil wird, von dem ich mir immer gewünscht habe, dass es in Erfüllung gehe. Die christliche Theologie hat die Hoffnung zu den sogenannten eingegossenen Tugenden gezählt, die auch die göttlichen Tugenden genannt werden, weil sie dem Christen in der Taufe geschenkt werden und sozusagen die Wirkprinzipien des übernatürlichen Lebens mit Gott sind. Es sind dies der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. Durch den Glauben erkennen wir die übernatürliche Wirklichkeit Gottes unter der Erlösung. Die Hoffnung gibt uns die Kraft, über das bloß Diesseitige hinauszuschauen und den eigentlichen Sinn und die Erfüllung unseres Lebens bei Gott zu sehen. Die Liebe macht unser Herz und unseren Verstand fähig, Gott als den einzigen und letzten Gegenstand unseres Verlangens, um seiner Selbst willen zu begehren. Die Hoffnung und auch der Glaube sind Tugenden des Christen solange er noch auf dem Wege ist. "Kommt aber die Vollendung", wie der heilige Paulus im Korintherbrief sagt (1Korinther 13,12-13), "so wird das Stückwerk abgelegt, denn jetzt schauen wir wie im Spiegel ein unklares Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, so wie auch ich erkannt bin. Jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe diese drei. Am größten, aber unter ihnen ist die Liebe."
Die Art und Weise der Erkenntnis wird wechseln. Aber der eigentliche Kern des Glaubens, nämlich die Teilnahme an der Erkenntnis, die Gott von sich selbst und allem anderen hat, wird ebenso ewig bleiben wie die Liebe. Nur die Hoffnung ist vorübergehend. Sie ist die dem auf dem Wege zur Ewigkeit sich befindenden Christen eigene notwendige Tugend. Die Hoffnung ist eine übernatürliche Tugend, wenn sie sich auf Gott selbst richtet und damit jenseits unserer natürlichen Erfahrung ihr Ziel hat. Die christliche Hoffnung erwartet nun das Heil des Menschen nicht von einem der Welt innewohnenden Prinzip wie zum Beispiel das Prinzip Hoffnung bei Ernst Bloch oder von einer kollektiven gesellschaftlichen Heilserwartung wie beim Kommunismus, auch nicht von einem Prinzip einer immer vollkommeneren technischen Entwicklung, sondern der Christ erwartet sein Heil einzig und allein vom Mensch gewordenen Gott, vom Heiland Jesus Christus.
Die christliche Hoffnung setzt voraus, dass ich mich als jemand fühle, der der Heilung bedarf. Als jemand, der von der Versehrtheit zum Heil gelangen möchte. Der Christ erwartet die Sinnvollendung seines Lebens nicht von sich selbst, sondern sie kann ihm letztlich nur geschenkt werden. Hier wird auch offenbar, dass das Ideal christlicher Lebensgestaltung niemals darin bestehen kann, dass der Mensch meint, dass Glück und Gelingen seine Lebens ausschließlich von eigener Anstrengung oder günstigen Umständen abhängt. Der Christ erwartet sein Heil weniger vom eigenen Besitzergreifen als vom Geschehenlassen Gottes. Deshalb kann der Christ auch da noch Hoffnung haben, wo eigentlich kein äußerlicher Grund der Hoffnung mehr besteht.
Vor vielen Jahren hörte ich den Vortrag einer chinesischen Christin, die mit ihrer Familie während der Kulturrevolution schwersten Verfolgungen ausgesetzt war. Sie erzählte, wie eines Tages die Roten Garden in ihr Haus einbrachen, alle Möbel zum Fenster hinauswerfen und vor ihren Augen einen ihrer Söhne totschlugen, weil er sich weigerte, Kommunist zu werden. Sie wurde dann verhaftet und in ein großes Gefängnis ihrer Heimatstadt eingeliefert. "Im Gefängnis", so berichtete sie weiter, "haben sich viele, Hunderte meiner Mitbürger zu Christus bekehrt in einer Atmosphäre des ständigen Terror und der Folterung. Die Menschen waren in einer Situation, die menschlich gesehen, hoffnungslos war." Und dann schloss sie: "Wo die Menschen alles verloren haben, wo sie vom Leben nichts mehr zu erwarten haben, da verstehen sie die Botschaft des Evangeliums."
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