Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!
Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.
Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird (Joh 15,9-11).
„Bleibt in mir, in meiner Liebe!“ Das Bleiben im Herrn ist das grundlegende, erste Thema dieses Abschnittes. Wo sollen wir bleiben? In der Liebe, in der Liebe Christi, im Geliebtsein und im Lieben des Herrn. […] So finden wir außerdem einen zweiten Imperativ: „Bleibt“ und „Haltet meine Gebote“. „Haltet meine Gebote“ ist nur die zweite Ebene; die erste ist die des „Bleibens“, die ontologische Ebene, das heißt: daß wir mit ihm vereint sind, der uns sich selbst im Vorhinein gegeben hat, der uns als Frucht seine Liebe gegeben hat. Nicht wir müssen die große Frucht hervorbringen; das Christentum ist kein Moralismus, nicht wir müssen das tun, was Gott sich von der Welt erwartet, sondern wir müssen vor allem in dieses ontologische Geheimnis eintreten: Gott gibt sich selbst. Sein Sein, sein Lieben geht unserem Handeln voraus, und im Kontext seines Leibes, im Kontext des Bei-ihm-Seins, des Einsseins mit ihm, geadelt durch sein Blut, können auch wir mit Christus handeln.
Die Ethik ist eine Folge des Seins: zuerst gibt uns der Herr ein neues Sein, das ist das große Geschenk; das Sein geht dem Handeln voraus, und diesem Sein folgt dann das Handeln, gleichsam eine organische Wirklichkeit, da wir das, was wir sind, auch in unserem Tun sein können. Und so danken wir dem Herrn, da er uns vom reinen Moralismus befreit hat; wir sollen keinem Gesetz gehorchen, das einfach vor uns steht, sondern wir müssen allein entsprechend unserer Identität handeln. Somit handelt es sich nicht mehr um einen Gehorsam, um etwas Äußeres, sondern um eine Verwirklichung des Geschenks des neuen Seins.
(Benedikt XVI., Lectio Divina im Päpstlichen Römischen Priesterseminar, 12. Februar 2010)
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