Geduld ist heute eine unterschätzte Tugend. In unserer Leistungsgesellschaft wird sie sogar oft belächelt und verachtet. Dennoch ist die Geduld sehr wichtig. „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19), sagt Christus − oder wie es in der wörtlichen Übersetzung aus dem griechischen Urtext lautet: „In der Geduld werdet ihr eure Seele besitzen.“ Was kann für einen Menschen wichtiger sein als der Besitz seiner Seele! Gott lässt Sünden, Fehler und Versagen, Alter, Krankheit und Schwächen aller Art zu, um uns die Geduld zu lehren. Geduld ist mit dem Kreuz verwandt. Wer das Kreuz lieben will, muss zuerst Geduld lernen.
Aber was besagt das: „seine Seele besitzen“? Der Mensch kann seine Seele nicht sehen. Er kann sie auch nicht nachweisen wie die elektrischen Ströme des Herzens oder des Gehirns. Sie liegt tief im Innern seines Wesens verborgen. Sie dringt nur in Gedanken, Gefühlen und Worten nach außen. Das hat die Menschen unserer Tage dazu verführt, die Seele als die Summe der menschlichen Antriebe und Gefühle zu definieren.
Die Seele ist aber viel mehr. Sie ist die Mitte der Person, aus der heraus alle Gedanken, Handlungen und Gefühle geschehen. Nach Johannes Tauler ist sie der geheimnisvolle Grund, in dem Gott sein Bild hinterlassen hat. „Die Seele besitzen“ kann deshalb bedeuten: Gedanken, Gefühle und Handlungen kommen aus einem mit Gott geeinten Herzen, das bereit ist, um der Liebe willen alles zu dulden.
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