Den Namen Gottes heiligen bedeutet, sein Leben aus der Nähe zu Gott zu leben. Christus sagt zu den Jüngern: »Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist« (Mt 5,43-48). Ein anderes Mal sprach er von dem Schweren, das in seiner Nachfolge liegt: »Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Mt 16,24). Und dann wieder, als wolle er das Schwere und Harte wegnehmen: »Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht« (Mt 11,30).
Die Forderung Christi nach Vollkommenheit können wir nur schwer verstehen. Schließen sich Menschsein und Vollkommenheit nicht aus? Jeder Mensch ist unvollkommen und hat Fehler. Das gehört zur Definition des Men-schen. Es ist sogar wichtig, dass wir uns auch mit unseren Fehlern akzeptieren. Wenn wir uns wirklich als Kinder vor Gott fühlen, wird uns das auch nicht allzu schwerfallen. C.G. Jung sagt einmal: »Bevor wir nach Vollkommenheit streben, sollten wir imstande sein, das Leben des gewöhnlichen Menschen zu leben, ohne unser Leben verkümmern zu lassen.« Ein bemerkenswerter Satz, der ergänzt werden kann durch eine Bemerkung des hl. Franz von Sales: »Wir möchten wie Engel leben und versäumen dabei manchmal, gute Menschen zu sein.« – Als Christen dürfen wir die Bodenhaftung nicht verlieren. Der Christ soll dort die Vollkommenheit suchen, wo er im Leben hingestellt ist.
Wie kann Christus Vollkommenheit von uns fordern? Jesus sagt es uns: »Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!« (Lk 6,36). Das deutsche Wort Barmherzigkeit hat als Kern das Wort Herz. Die Vorsilbe kommt von arm. Barmherzig ist also derjenige, der ein Herz für die Armen hat. Für Jesus ist Barmherzigkeit die wesentliche Eigenschaft Gottes aber auch des Menschen. Jesus zeigt uns hier einen Weg, wie wir den Vater nachahmen können. Wenn ein Mensch gegenüber einem anderen Menschen barmherzig ist, überschreitet er sich selbst. Er lässt seine egoistische Natur hinter sich. Er steigt herab vom Thron seiner eingebildeten Vollkommenheit und nimmt gegenüber dem Anderen die Haltung ein, mit der Gott dem Menschen begegnet. Indem er barmherzig ist, wird der Mensch Gott ähnlich. Der Mensch wird dann in gewisser Weise vollkommen wie sein himmlischer Vater.
Diese barmherzige Liebe soll auch in der sozialen Ordnung ihren Ausdruck finden. Viele Errungenschaften un-serer westlichen Zivilisation beruhen auf dem Gedanken des Schutzes der sozial Schwächeren. Sie gründen letztlich in der christlichen Barmherzigkeit, die den Menschen den rein rationalen und utilitaristischen Bewertungen entzieht. Wenn wir aber beginnen, sie einigen schwächeren Glie-dern der Gesellschaft zu entziehen und sie auszusortieren, greifen wir die Grundlage dieser Zivilisation an.
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