„Advent ist einmal eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst. Die Voraussetzung des erfüllten Advent ist der Verzicht auf die anmaßenden Gebärden und verführerischen Träume, mit denen und in denen sich der Mensch immer wieder etwas vormacht. Er zwingt so die Wirklichkeit, ihn mit Gewalt zu sich zu bringen, mit Gewalt und viel Not und Leid. Das erschütterte Erwachen gehört durchaus in den Gedanken und das Erlebnis des Advents. Aber zugleich gehört viel mehr dazu. Das erst macht ja die heimliche Seligkeit dieser Zeiten aus und zündet das innere Licht in den Herzen an, dass der Advent gesegnet ist mit den Verheißungen des Herrn. Die Erschütterung, das Aufwachen: damit fängt das Leben ja erst an, des Advents fähig zu werden.
Gerade in der Herbheit des Aufwachens, in der Hilflosigkeit des Zusichselbstkommens, in der Erbärmlichkeit des Grenzerlebnisses erreichen den Menschen die goldenen Fäden, die in diesen Zeiten zwischen Himmel und Erde gehen und der Welt eine Ahnung von der Fülle geben, zu der sie gerufen und fähig ist.
Advent ist Zeit der Verheißung, noch nicht der Erfüllung. Noch stehen wir mitten im Ganzen und in der logischen Unerbittlichkeit und Unabweisbarkeit des Schicksals. Noch sieht es für die gehaltenen Augen so aus, als ob die endgültigen Würfel doch da unten in diesen Tälern, auf diesen Kriegsfeldern, in diesen Lagern und Kerkern und Kellern geworfen würden.
Der Wache spürt die anderen Kräfte am Werk und er kann ihre Stunde erwarten. Noch erfüllt der Lärm der Verwüstung und Vernichtung, das Geschrei der Selbstsicherheit und Anmaßung, das Weinen der Verzweiflung und Ohnmacht den Raum. Aber ringsherum am Horizont stehen schweigend die ewigen Dinge mit ihrer uralten Sehnsucht. Über ihnen liegt bereits das erste milde Licht der kommenden strahlenden Fülle."
Diese Zeilen verfasste Alfred Delp mit gefesselten Händen in der Advents- und Weihnachtszeit 1944/1945 also mitten im Krieg in seiner Gefängniszelle. Auch 80 Jahre später und vielleicht jetzt wieder sind sie ein Weckruf, sich im Advent auf das Wesentliche zu besinnen und „Inventur“ bei sich selbst zu halten, den Ernst der Zeit zu erkennen und in einer Zeit, die aus den Fugen zu geraten droht, inneren Kurs zu halten oder zu finden.
Der Jesuitenpater Alfred Delp wurde im Sommer 1944 in München - Bogenhausen in meiner Pfarrei Heiligblut von der Gestapo verhaftet und nach Berlin überstellt, weil er erklärter Gegner der Nazi-Diktatur war und einem Widerstandskreis angehörte. Dort war er über Wochen brutaler Folter und Verhören ausgesetzt und man versuchte, ihn zum Austritt aus seinem Orden mit dem Versprechen der Freilassung zu bewegen. Er widerstand bis zu seinem Tod in Berlin-Plötzensee, wo er zusammen mit anderen Verschwörern am 2. Februar 1945 grausam hingerichtet wurde.
Die große Aufgabe des Menschen ist es, sich innerlich bereit zu halten, dass Gott eintreten kann.
Alfred Delp (1907 - 1945)
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